Das Schuldrama „Die Neue“ im ZDF mit Iris Berben als streitbare Deutschlehrerin ist eine Lehrstunde in Toleranz. Aber ist es auch gute Fernsehunterhaltung?

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Ein Film wie eine doppelstündige Klausur im fächerübergreifenden Projekt Deutsch-Gesellschaftskunde. „Erörtern Sie folgendes Zitat von Johann Wolfgang von Goethe aus dessen Nachlass: ,Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.‘“ So könnte die Aufgabenstellung lauten – und so lässt sich der ZDF-Fernsehfilm „Die Neue“ zusammenfassen.

 

Mit diesem Goethe-Zitat beginnt der Film von Christoph Silber (Drehbuch) und Buket Alakus (Regie) nicht; es fällt gegen Ende, als sich die Lehrerin Eva Arendt (Iris Berben) bei ihrer Klasse entschuldigt. Langsam und deutlich, zum Mitschreiben, diktiert sie damit die Lektion, die sie selbst, ihre Schüler und vor allem der Zuschauer gelernt haben soll.

Was geht dem voraus? Ein Konflikt, der sich an einem Berliner humanistischen Gymnasium abspielt – und selbstredend gesamtgesellschaftlich zu verstehen ist. Eva Arendt ist eine gestandene Deutschlehrerin, die ihre Schüler nicht mit Fakten abfüllen will, sondern zu verantwortlichen, kritisch denkenden Menschen erziehen will. Wie ernst sie es mit dieser Mission meint, zeigt sich, als die türkische Schülerin Sevda (Ava Celik) in ihre Klasse kommt. Strenggläubige Muslimin, Kopftuchträgerin, sehr intelligent, aus wohlsituiertem, westlich geprägtem und areligiösem Elternhaus. Selbstbewusst, in ihrem Glauben ruhend, fordert Sevda ihr Recht auf Religionsfreiheit an der Schule ein. Sie will sich nicht neben einen Jungen setzen, verweigert die Teilnahme am Sportunterricht, richtet sich im Keller der Schule sogar heimlich einen Gebetsraum ein und bringt zwei Mitschülerinnen dazu, ebenfalls ein Kopftuch zu tragen.

Eva gerät an ihre Grenzen

Über kurz oder lang gefährdet sie damit den Schulfrieden, und Eva gerät mit ihrem auf Streitkultur basierenden Demokratieverständnis wiederholt an ihre Grenzen; darunter leidet auch ihre verheimlichte Beziehung zum verheirateten Schuldirektor (Hans Jochen Wagner). In einem zweiten Erzählstrang hält Sevda mit ihrer Klarheit und inneren Übereinstimmung ihrer Lehrerin den Spiegel vor. Eva, die nie gewagt hat, nach ihren Wurzeln zu suchen, beginnt nach dem Tod ihrer Mutter endlich nach ihrem leiblichen Vater zu forschen; dessen Identität hatte ihr die Mutter immer verheimlicht.

Keine Frage, „Die Neue“ ist ein handwerklich einwandfreier, durchdachter, klug konstruierter Film. Wobei eine Einschränkung zu machen ist: Kopftuchtragende Schülerinnen haben an deutschen Gymnasien nicht diesen Seltenheitswert, der ihnen dieses ZDF-Drama zuschreibt. Das Motiv, den Konflikt im gehobenen bürgerlichen Milieu anzusiedeln, ist allzu durchschaubar: Offensichtlich wollen die Filmemacher damit das Klischee vermeiden, strenggläubige Muslime fänden sich nur in der Unterschicht. Sieht man darüber hinweg, punkten Buch und Regie mit lebensnahen Dialogen und zuweilen auch starken Bildern, etwa wenn die Diskussion der Klassengemeinschaft in eine Schreierei ausartet, die jede Kommunikation unmöglich macht. Oder wenn plötzlich die ganze Klasse in schwarze Burkas gehüllt vor der sprachlosen Deutschlehrerin sitzt. Iris Berben spielt sensibel, nuancenreich und substanziell; man spürt, dass sie sich zu dem Thema ihre Gedanken gemacht hat, und die junge Ava Celik als Sevda ist ihr ein starkes Gegenüber.

Ehrenwert und lehrreich

Zusammengenommen kann „Die Neue“ so zwar fesseln, ist aber dennoch vor allem eines: ehrenwert und lehrreich. Und genau das ist das Problem des Films. Der öffentlich-rechtliche Bildungsauftrag, die gute Botschaft – „so sieht wahre Toleranz aus“ – läuft als Untertitel in jeder Szene mit. Nachhilfeunterricht am Montagabend? Gesinnungserziehung als TV-Fiktion? Mit pädagogischen Mogelpackungen kommt man bei Schülern meist nicht durch. Bei anspruchsvollen Zuschauern auch nicht.