Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Die Ironie ist aber weder zu verteufeln, noch wird man sie jemals aus der Welt bekommen. Dazu war und ist die Ironie viel zu wichtig, um etwa in Diktaturen so etwas wie Kritik an den Zuständen zu ermöglichen. Aber vergessen wir nicht: wir leben politisch gesehen in keiner Diktatur, sondern in einer Demokratie, in der theoretisch jeder gefordert ist, zum kollektiven Gelingen der Gesellschaft beizutragen. Ein auf Ironie gebauter öffentlicher Diskurs, mehr noch, eine überwiegend ironische Weltsicht und ein damit verbundenes Leben funktionieren für eine offene, demokratische Gesellschaft nicht. Wenn man im öffentlichen „Wettstreit der Ideen“ nicht mehr sicher sein kann, ob die Diskussionsteilnehmer überhaupt meinen, was sie sagen, bricht das System zusammen.

 

Dieses Problem muss überhaupt erst als solches erkannt werden, weil Ironie für den Einzelnen ja hervorragend funktioniert. Die Folge sollte aber nicht sein, dass die Ironiker bierernst werden. Besser wäre eine Ernsthaftigkeit, die Ironie mitdenkt.

„Das Himbeerreich“ hat es vorgemacht

Wie das gelingen kann, hat beispielhaft Andres Veiels Theaterstück „Das Himbeerreich“ gezeigt, das vor einem Jahr am Staatstheater Stuttgart Premiere feierte. Darin komponiert der Autor Zitate aus Interviews mit mehr als zwanzig Bankern. Durch den dokumentarischen Ansatz erhält das Stück die nicht wegzuironisierende Glaubwürdigkeit, die einem kritischen Beitrag zu den Ursachen und Folgen der Finanzkrise angemessen ist; indem diese Äußerungen neu zusammengesetzt werden, wird der Komplexität des Themas Rechnung getragen und zugleich die vorironische Naivität einer eindimensionalen, linear vorgetragenen Geschichte vermieden.

Den zweiten, ebenfalls notwendigen Schritt muss das zunehmend ironiebegabte Publikum gehen. Man darf zwar hoffen, dass das Land so schnell nicht von Hipstern gelenkt wird. Trotzdem sollten wir alle uns ein bisschen locker machen und von unseren Eliten ein wenig mehr Ironieverständnis nicht nur verlangen, sondern es auch zulassen. Ernsthaft jetzt.

Ironie im politischen Diskurs? Ganz schwierig

Es gibt Menschen, man könnte sie Hipster nennen, die wissen teilweise selbst nicht mehr, ob sie das, was sie sagen, tatsächlich ernst meinen. So hat Katrin Bauerfeind im vergangenen Sommer in Sarah Kuttners Sendung einen veritablen „Ironiezwang“ konstatiert. Nun wäre Ironiezwang zunächst ein rein privates Problem derjenigen, die beim Reden (zu) viel Ironie verwenden. Zum Problem von uns allen wird der Ironiezwang, wenn es um Politik geht oder abstrakter um allgemein verbindliche Entscheidungen, die eine Gesellschaft zu treffen hat. Wie soll einer zum Beispiel wählen oder über gesellschaftlich relevante Fragen diskutieren, wenn er die ironische Brechung gewissermaßen automatisch mitdenkt?

Eine Erkenntnis ist an dieser Stelle wichtig: eine nicht ganz kleine Menge an tendenziell jüngeren, gebildeteren Menschen, die Sarah-Kuttner-Sendungen, die „heute-show“ oder die BR-Sendung „Quer“ sehen, intensiv Popkultur konsumieren oder auf Twitter mitdiskutieren, ist zunehmend ironiebegabt – in Deutschland wie auch in anderen Teilen der westlichen Welt. Es gibt keine Statistik dazu. Aber die Menschen, die jünger sind als die heute noch herrschende Babyboomer-Generation, spricht wesentlich öfter ironisch als ernst über „ernste“ Themen wie Politik, Wirtschaft, Datenschutz und Ähnliches – gleich, ob online oder offline.

TV-Satire als das bessere Politik-Magazinformat

Das heißt nicht, dass diese Personen ihre Redebeiträge nicht ernst meinen würden. Im Gegenteil. Vielmehr fragen heute nicht mehr nur die Eliten, warum Politiker X oder Topmanager Y etwas zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt sagt, warum dieser oder jener „Skandal“ an die Medien durchgereicht wurde, oder was hinter den abstrakten Formulierungen in Werbeprospekten oder Koalitionsverträgen steckt. Nicht ohne Grund wird die „heute-show“ schon von manchen als kritischste Politiksendung Deutschlands bezeichnet. Eine Satiresendung, in der jeden Freitag Absurdität auf politische Realität trifft – oder ist eh schon alles eins? Jedenfalls legt die „heute-show“ zumindest gefühlt häufiger den Finger in die Wunde als viele etablierte, „ernsthafte“ TV-Formate. Woraus natürlich auch Zynismus spricht. Kann man vielleicht ohne Ironie heute gar nicht mehr ernsthaft Kritik üben?

Wer das bejaht, der kann auch erklären, warum den durch und durch unironischen Religionsgemeinschaften in der westlichen Welt die Gläubigen weglaufen oder warum die immergleichen Slogans auf Wahlplakaten mehr und mehr Wähler anöden. Nicht, weil man nicht „Für mehr Gerechtigkeit“ wäre oder etwas gegen das Motto „Den Standort sichern“ hätte – sondern weil die Botschaft in dieser plumpen Einfachheit nicht (mehr) ernst genommen wird. Eine weitere Malaise zeigt sich regelmäßig in den Ortsvereinen, auf Parteitagen und in Politiker-Interviews: Innerhalb der Parteien ist die Ironiefähigkeit deutlich unterentwickelt, auch unter den Jüngeren. Zumal Politiker für ironische Äußerungen in der Öffentlichkeit gern gescholten werden, so wie etwa Peer Steinbrück für sein Stinkefinger-Foto im „SZ-Magazin“.

Entfremdung von Politik und Wahlvolk

Das Muster ist stets dasselbe: „Ernsthafte“ Themen werden völlig ironiefrei diskutiert, während viele insbesondere jüngere sowie internetaffine Bürger längst einen Schritt weiter sind. Sie tun genau das, was Politiker, Manager, Verwaltungseliten, Wissenschaftler und andere nicht können oder dürfen: in der Öffentlichkeit ironisch reden und handeln. Zunehmende Entfremdung von Politik und Wahlvolk ist die Folge.

Die Hipster haben dieser unpolitischen Ironie den Weg gewiesen; jedenfalls sind sie politisch, wenn überhaupt, zumeist als Lobbyisten für sich selbst aktiv und auch da häufig mit punktuellen Spaßaktionen. Es wäre daher leicht, im Hipster einen Schuldigen für eine zunehmend entpolitisierte Infotainment-Bürgerschaft zu sehen. Die „Zeit“ hat vor einem knappen Jahr darauf hingewiesen, der Hipster sei eine „dankbare Projektionsfläche“ für „gesellschaftskritische Anstandsübungen“: ein Typ Mensch, von dem keiner ein genaues Bild hat, den aber keiner mag. Und den alle nur benutzen, um, typisch deutsch, mal wieder mehr Ernsthaftigkeit und weniger Ironie zu fordern und damit eigentlich zu meinen, dass alles wieder so sein solle wie früher.

Das Ende des Hipstertums wird seit längerem ausgerufen

Tatsächlich wird schon länger über das Ende des Hipstertums und der Ironie diskutiert. Die Konferenz, aus der das Suhrkamp-Buch wurde, hatte den Titel „What was the Hipster“ (Was war der Hipster?). Und das war 2009.

Haben wir da was verschlafen?

Tatsächlich gibt es nicht nur Belege für mehr Ironie, sondern auch eine Gegenbewegung: die Postironie. 2008 erschien das „postironische Manifest“ des Schweizer Künstlerduos Com & Com, das mit der These „Ironischer Zweifel ist nur noch zur Lebensart erhobene Unzufriedenheit“ einsteigt. Bereits 15 Jahre zuvor hat David Foster-Wallace diese Art von Ironiemüdigkeit auf eine noch griffigere Formel gebracht: „Ironie ist Tyrannei“, schreibt er in einem Essay über das US-Fernsehen.

Foster-Wallace erkennt darin an, dass erst die Ironie es ermöglichte, nach dem ideologiegetränkten zwanzigsten Jahrhundert hinter die überernste Propaganda-Fassade zu blicken. Doch was, wenn irgendwann alle ironisch sind und keiner mehr meint, was er sagt? Dann wird Ironie tatsächlich zur Tyrannei. So argumentiert auch Jedediah Purdy, der mit seiner Streitschrift „For Common Things“ (2000) eine „neue Ernsthaftigkeit“ (new sincerity) forderte: eine Gesellschaft ohne Ironie, die erst so zu einer echten „Gemeinschaft“ werden könne.

Die Position hat auch etwas sehr Gemütliches

Wie weiter? Die Ironie ist eine zu gemütliche Position, um sie ohne Not zu räumen; Ironie, Individualismus und Konsum hängen eng zusammen und werden von den gesellschaftlichen Umständen gefördert. Nicht nur, dass man immer mehr Hipster trifft und sich in der Folge leicht uncool fühlt. Noch viel mehr Menschen sind im Job und vielleicht auch in der Familie zu stark gefordert, um tiefsitzende Überzeugungen zu vertreten, und vermeiden dies aus reinem Selbstschutz. Wer beispielsweise ein wirkliches Bewusstsein für Ungerechtigkeit ausprägt und die Welt gerechter machen will, der wird womöglich seines Lebens nicht mehr froh, weil es schlicht zu viel Ungerechtigkeit gibt. Es liegt einfach näher, sich um das eigene Wohlergehen oder das der Familie zu kümmern. Zumal man in der Werbung regelmäßig den coolen Konsumenten vorgelebt bekommt, der über alle Kritik erhaben ist – und auch selbst nicht wirklich viel an der Welt zu kritisieren hat.

Vor diesem Hintergrund wirken die leidenschaftlich geführten politischen Debatten samt Aufmärschen, Saalschlachten und anderen aktiven Protest- und politischen Kampfformen aus dem zwanzigsten Jahrhundert wie ein Anachronismus. Das liegt zum einen daran, dass die großen Grundsatzdebatten geführt scheinen, das sozialdemokratisierte Deutschland seine Bürger hinreichend pampert und es ohnehin kaum mehr schreiende Missstände gibt wie zu Zeiten, in denen etwa werdende oder gewesene Nationalsozialisten an der Macht waren. Ideologien und Despoten kennen keine Ironie; das lässt sich auch heute noch in Ländern wie China, Nordkorea oder Kuba beobachten.

Alle wollen wissen, was hinter den Inszenierungen steckt

Mit viel mehr Lust wird heute (zu Recht) gefragt, was hinter der öffentlichen Inszenierung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und – ja, auch – Medienproduktion steckt. Denn dort fallen in der Tat das, was gesagt wird, und das, was gemeint ist, regelmäßig auseinander. Und das gilt nicht nur für die oft genug vergifteten Argumente irgendwelcher Wirtschaftslobbyisten. Die einen folgern daraus, dass Politik und öffentliche Debatten ihnen egal sind, sie werden gleichgültiger. Die anderen werden misstrauischer. Beides bedingt und verstärkt eine ironisierende Weltsicht. Man merkt schon: es tut der politischen Gesprächskultur nicht gut, dass viele Bürger ironischer werden, die Politik da aber nicht mitziehen will oder nicht darf.

Die Verwirklichung von oben vorgestellten Forderungen wie der „Postironie“ oder einer „neuen Ernsthaftigkeit“ lässt sich nicht einfach herbeischreiben und ist derzeit auch nicht besonders sexy. Wer über Jahre völlig ironiefrei und kompromisslos für seine Sache einsteht, wirkt in den Augen vieler irgendwann wie ein extrem unlockeres Abziehbild seiner selbst. Auch das bringt die Ironie mit sich: einen gewissen Zwang, sich locker zu machen.

Ganz ohne (Selbst-)Ironie geht es auch nicht

Die Ironie ist aber weder zu verteufeln, noch wird man sie jemals aus der Welt bekommen. Dazu war und ist die Ironie viel zu wichtig, um etwa in Diktaturen so etwas wie Kritik an den Zuständen zu ermöglichen. Aber vergessen wir nicht: wir leben politisch gesehen in keiner Diktatur, sondern in einer Demokratie, in der theoretisch jeder gefordert ist, zum kollektiven Gelingen der Gesellschaft beizutragen. Ein auf Ironie gebauter öffentlicher Diskurs, mehr noch, eine überwiegend ironische Weltsicht und ein damit verbundenes Leben funktionieren für eine offene, demokratische Gesellschaft nicht. Wenn man im öffentlichen „Wettstreit der Ideen“ nicht mehr sicher sein kann, ob die Diskussionsteilnehmer überhaupt meinen, was sie sagen, bricht das System zusammen.

Dieses Problem muss überhaupt erst als solches erkannt werden, weil Ironie für den Einzelnen ja hervorragend funktioniert. Die Folge sollte aber nicht sein, dass die Ironiker bierernst werden. Besser wäre eine Ernsthaftigkeit, die Ironie mitdenkt.

„Das Himbeerreich“ hat es vorgemacht

Wie das gelingen kann, hat beispielhaft Andres Veiels Theaterstück „Das Himbeerreich“ gezeigt, das vor einem Jahr am Staatstheater Stuttgart Premiere feierte. Darin komponiert der Autor Zitate aus Interviews mit mehr als zwanzig Bankern. Durch den dokumentarischen Ansatz erhält das Stück die nicht wegzuironisierende Glaubwürdigkeit, die einem kritischen Beitrag zu den Ursachen und Folgen der Finanzkrise angemessen ist; indem diese Äußerungen neu zusammengesetzt werden, wird der Komplexität des Themas Rechnung getragen und zugleich die vorironische Naivität einer eindimensionalen, linear vorgetragenen Geschichte vermieden.

Den zweiten, ebenfalls notwendigen Schritt muss das zunehmend ironiebegabte Publikum gehen. Man darf zwar hoffen, dass das Land so schnell nicht von Hipstern gelenkt wird. Trotzdem sollten wir alle uns ein bisschen locker machen und von unseren Eliten ein wenig mehr Ironieverständnis nicht nur verlangen, sondern es auch zulassen. Ernsthaft jetzt.