Die Tagung der Islamischen Gemeinschaft wirft die Frage auf, wie mit islamistischen Verbänden umzugehen ist. Verfassungsschützer warnen.

Stuttgart - Die Jahreskonferenz der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland beginnt mit dem Mittagsgebet. Durch die Hallen des Kulturhauses Arena in Wangen ertönt der Ruf des Imam, der in dem Trubel der Ankommenden beinahe untergeht. Jahrelang hat die vom Verfassungsschutz beobachtete Islamische Gemeinschaft (IGD) versucht, eine Großveranstaltung in Stuttgart zu organisieren, jahrelang ist sie gescheitert, weil ihnen niemand eine Halle vermieten wollte. An diesem Sonntag sieht es anders aus: Etwa 600 Muslime aus ganz Süddeutschland sind angereist, um die Botschaften der aus Ägypten und Tunesien eingeflogenen Theologen und der deutschen Gäste zu hören.

 

Die Konferenz ist straff organisiert: Rein kommt nur, wer im Vorfeld ein Ticket erworben hat, den Medienvertretern wird schon bei Eintritt mit Houaida Taraji eine Begleiterin zur Seite gestellt. Die gebürtige Syrerin ist die einzige Frau im fünfköpfigen Bundesvorstand der IGD und quasi der Beweis dafür, dass die muslimische Organisation die Frauenquote längst umgesetzt hat. "Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist für uns eine Selbstverständlichkeit", versichert die Ärztin Taraji, die selbstbewusst auftritt und wie alle Frauen bei der Konferenz Kopftuch trägt. Ein wichtiges Frauenrecht, das es zu erstreiten gilt, ist für sie die Abschaffung des Kopftuchverbots im Unterricht.

Mehr als acht Stunden bis 22 Uhr dauert die Veranstaltung, die immer nur zu den Gebetszeiten unterbrochen wird. Links im Publikum sitzen die Frauen, rechts die Männer, für die Kinder ist eine Betreuung organisiert. Zu Wort kommt beispielsweise die Politik- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer, die die Islamfeindlichkeit in den Medien beklagt und Vergleiche mit dem Antisemitismus zieht: Auch bei den Juden habe man gefordert, die Predigten zu übersetzen und auch bei ihnen habe man an religiösen Ritualen wie dem Schächten Anstoß genommen.

Der Verfassungsschutz warnt vor antidemokratischer Gesinnung

Viel ist auch davon die Rede, dass man Brücken bauen und jede Form von Extremismus ablehnen müsse. "Es ist nicht zeitgemäß, dass Menschen wegen ihrer Religion ausgegrenzt werden. Es ist aber auch nicht zeitgemäß, aus Angst vor dem verdorbenen Westen Parallelgesellschaften zu bilden", sagte etwa Mohammed Kahf, der Regionalvorsitzende Südwest der IGD. Am Abend dann plädierte der ägyptische Theologe Munir Jamaa für den mittleren Weg im Islam, den er folgendermaßen definierte: "Die Regeln Allahs in unser Leben umzusetzen, das ist der mittlere Weg." Wenn die Politik einen anderen Weg gehe als die Religion, dann sei dies eine Politik, die von den Gelehrten nicht akzeptiert werde.

Es sind Aussagen wie diese, die den baden-württembergischen Verfassungsschützer Herbert Müller aufhorchen lassen. Der Islamexperte rechnet die IGD den ägyptischen Muslimbrüdern zu und warnt vor deren antidemokratischer Gesinnung. "Es ist die Vorstellung von einem Islam, der für jeden Aspekt des Lebens Vorschriften macht und keinen Raum mehr lässt für die Autonomie des Einzelnen." Die IGD setze legale Mittel ein, um ihr Ziel eines politischen Islam zu erreichen. Für Müller sind Rednerinnen wie Sabine Schiffer Feigenblätter, die dazu dienten, der Organisation "ein offenes Aussehen zu verleihen".

Ibrahim al-Zayat, der langjährige Vorsitzende des IGD und einer der Redner vom Sonntag, kontert die Vorwürfe des Verfassungsschutzes: "Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und den Anschlägen vom 11. September ist ein neues Feindbild entstanden. Dabei tun wir nichts weiter, als eine muslimische Identität in einem deutschen Kontext zu pflegen." Leuten wie Müller wirft al-Zayat vor, den Muslimen sagen zu wollen, welche Form des Islam sie zu akzeptieren hätten. "Wir bestimmen unser Islamverständnis selbst."

Abdelmonem Eldamaty, der Vorsitzende des Islamischen Zentrums in Stuttgart, das der IGD nahesteht, geht noch einen Schritt weiter. Er sieht den Extremismus längst auf deutscher Seite: "Wir bekommen keine Aufenthaltsgenehmigungen für unsere Imame und selbst Visaanträge von Geschäftspartnern werden abgelehnt." Dabei gehe es den Menschen nur darum, einen friedlichen Islam zu leben.

Der Integrationsbeauftragte regt kritischen Dialog an

Für Stuttgarts Integrationsbeauftragten Gari Pavkovic ist das IGD-Treffen ein Anlass, um erneut über den Umgang mit Organisationen nachzudenken, die im Visier des Verfassungsschutzes stehen. Bis jetzt ist die Linie des Stuttgarter Gemeinderates klar: keine Gespräche mit diesen Vereinen, zu denen neben dem Islamischen Zentrum in Stuttgart beispielsweise Milli Görüs und die Grauen Wölfe zählen. Für Pavkovic ist dieser Zustand unbefriedigend: "Wenn wir mit den Leuten nicht reden, können wir auch keine Erwartungen formulieren und beispielsweise sagen, nehmt bestimmte Bücher aus der Bibliothek." Er regt deshalb einen kritischen Dialog mit den Vereinen an, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen.

Die 28 Jahre alte Maha weiß nichts vom deutschen Verfassungsschutz. Die Ägypterin lebt erst seit wenigen Monaten in Deutschland, die Jahreskonferenz ist für die fröhliche Muslimin eine Chance, Landsleute zu treffen - und sich über eines zu wundern: "Die Muslime in Deutschland leben den Islam sehr viel strenger als wir in Ägypten." Das sei schon an der Kleidung abzulesen. Und an der Sitzordnung: An ägyptischen Universitäten zum Beispiel sei es nicht üblich, dass Männer und Frauen bei Vorträgen auf getrennten Seiten sitzen.