Ein 27-jähriger, als Flüchtling abgewiesener Syrer sprengt sich nach IS-Art selbst in die Luft und verletzt 15 Menschen. Auf seinem Handy deklariert er sich als Kämpfer für Allah. Aber welche Rolle spielten seine psychischen Probleme? Seine Neigung zum Selbstmord?

München - Noch am Mittag danach stehen halbvolle Gläser auf den Bistrotischen; es sind die Reste einer überstürzten nächtlichen Flucht – und aufräumen kann an diesem Montag auch niemand, denn die Polizei hat die historische Innenstadt von Ansbach mit rot-weißen Flatterbändern umzäunt. Keiner kommt rein, auch die Bewohner und die Hotelgäste nicht, so lange die Männer in den weißen Overalls mit der „Tatort-Arbeit“ beschäftigt sind.

 

„Tage des Schreckens“, sagt Ministerpräsident Horst Seehofer, durchlebe Bayern derzeit: Vor sieben Tagen das Axt-Attentat im Regionalzug bei Würzburg; am Freitag der Amoklauf in München mit zehn Toten, und jetzt, in der behäbigsten, beschaulichsten Provinz, der wohl erste Selbstmordanschlag auf deutschem Boden. Selbstmord und Anschlag zugleich, denn der 27-jährige Syrer, der ihn verübt hat, hat zuvor schon zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Beim dritten Mal wollte er mit voller Absicht auch noch möglichst viele Menschen mit in seinen Tod reißen: Der Rucksack, den er trug, enthielt neben dem Sprengsatz auch eine große Menge „scharfkantiger Metallteile aus der Holzverarbeitung“, wie die Polizei sagt: Schrauben und Nägel.

Wie die Terroristen in Paris

Die tödliche Streuwirkung sollte sich auch noch verstärken dadurch, dass Mohammad D. seine Rucksackbombe auf einem Musikfestival, dem „Ansbach Open“, zünden wollte. Die jungen Popsänger Joris, Philipp Dittberner und Gregor Meyle hatten an diesem Sonntag Abend 2000 Fans auf die “Reitbahn” gelockt. Prächtige Barockbauten stehen um sie herum; eine “sehr fröhliche, lockere Atmosphäre” habe geherrscht, sagt Ansbachs Kulturreferentin; in riesigen Blumenkübeln blüht und duftet der Oleander.

Mohammad D. wollte da auch rein – genauso wie einer der Pariser Attentäter vom 13. November vergangenen Jahres in das Fußballstadion zum Spiel Frankreich-Deutschland wollte –, nur hatte er keine Eintrittskarte, er wurde abgewiesen. So zündete er die Bombe und sich selbst genau vor dem Eingang; dort standen immerhin noch etliche Dutzend Menschen um ihn herum. 15 von ihnen trugen Verletzungen davon, vier davon schwere. Wenigstens schwebte am Montag Mittag keiner mehr in Lebensgefahr.

Mohammads Tat geschah um 22.10 Uhr, und alle, auch die Feuerwehrleute, die nach dem Knall sofort herbeieilten, dachten an eine Gasexplosion in der Weinstube daneben. Erst später stand fest, was wirklich passiert war; fest stand dann auch, dass Deutschland nur mit ganz knapper Not einem noch viel größeren Blutbad entgangen war – und wegen dieser „grässlichen Tat“ berief Bayerns Innenminister Joachim Herrmann schon für drei Uhr morgens eine Pressekonferenz ein.

Angst vor Abschiebung?

Wie in Würzburg und München, so schälte sich das Profil des Selbstmordattentäters erst langsam heraus: Aus Syrien war Mohammad D. vor zwei Jahren geflohen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, weil er in Bulgarien schon einen Schutzstatus erhalten hatte; gemäß der Dublin-Regelung sollte er dorthin zurück abgeschoben werden, wurde aber „seiner psychischen Labilität“ wegen zunächst in Deutschland geduldet Vor wenigen Tagen hatte Mohammad D. dann eine neue Abschiebeverfügung nach Bulgarien erhalten, womöglich war das der Auslöser.

Mohammad D. lebte mit anderen Asylbewerbern in einem ehemaligen Ansbacher Hotel; Wegen seiner Selbstmordversuche war er auch schon im Krankenhaus zu psychiatrischer Behandlung. Die Mitarbeiter des Städtischen Sozialamts, bei denen Mohammad D. immer wieder um Leistungen vorsprach, schildern ihn als „freundlich, unauffällig, nett.“

Politisch oder als potenzieller Terrorist, sagen auch im Fall Ansbach wieder alle, sei Mohammad D. niemandem aufgefallen. Die Polizei kannte ihn von kleineren Drogen- und Nötigungsdelikten. Aggressive Züge schien er durchaus gehabt zu haben. Aber war er ein Islamist? Ein Terrorist? Innenminister Joachim Herrmann hält das schon mitten in der Nacht „leider für sehr naheliegend“ – und auch wenn sich die IS-Propaganda selbst, entgegen ihren im Fall Würzburg unverzüglich demonstrierten Gewohnheiten, noch nicht zu Wort gemeldet hat, so präsentierte Herrmann am Montag Nachmittag seine eigenen Indizien: auf D.’s Handy habe sich ein Video mit einer Anschlagsdrohung befunden. Einen „Racheakt“ wollte der Syrer begehen gegen die Deutschen, als Vergeltung, weil sie Muslime umbrächten. In einer ersten Übersetzung des arabischen Textes heiße es, der Täter handle im Namen Allahs, sagte Herrmann. Der Mann beziehe sich auf Abu Bakr al-Baghdadi, den Anführer der Terrormiliz IS. Bundesinnenminister Thomas de Maizière, hingegen hält zur selben Uhrzeit durchaus beides für möglich, „vielleicht in Kombination“: eine Verbindung zum IS ebenso wie psychische Probleme.

„Asylrecht in ganz schlimmer Weise missbraucht“

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Joachim Herrmann, Bayerns besonnener Innenminister, an Schärfe zugelegt hat. Das Axt-Attentat des 17jährigen Afghanen im Regionalzug bezeichnete der bayerische Innenminister noch als „einzelne Wahnsinnstat“. Jetzt, nach Ansbach, spricht er umfassend von „Gewalt, die von Asylantragstellern ausgeht“. Angesichts der wachsenden Ängste im Volk dürfe man es nun nicht bei einem Achselzucken belassen.

„Ich bin entsetzt“, sagt Herrmann: „Es ist ungeheuerlich, dass jemand die Schutzmöglichkeiten des Asylrechts derartig schlimm missbraucht und Menschen, die diesen Schutz garantieren, so schwer verletzt.“ Mohammad D. habe das Asylrecht „in einer ganz schlimmen Weise diskreditiert.“

Nicht die erste Gewalttat in Ansbach

In Ansbach leben derzeit 644 Flüchtlinge in zwölf Unterkünften, so sagt es die parteilose Oberbürgermeistern Carda Seidel. 40.000 Menschen leben in der Hauptstadt des Regierungsbezirks Mittelfranken, die ihre barocke Prunk-Ausstattung der Zeit, in der das Städtchen den Hohenzollern gehörte und markgräfliche Residenz war. Garnisonsstadt war Ansbach außerdem – ferne Erben dieser Epoche sind die amerikanischen Streitkräfte, die dort mit etwa 8000 Mann die „strategische Luftverkehrsdrehscheibe für die US-Landstreitkräfte in Europa“ unterhalten. Viele andere Soldaten sind in den neunziger Jahren schon abgezogen; auf dem frei gewordenen Platz steht jetzt eine Hochschule. Ansbach gilt ferner als klassische Beamtenstadt, als gilt trotz der Studenten als ruhig - bis hin zum Prädikat „nichts los“.

Von Gewalt ist Ansbach gleichwohl nicht verschont geblieben: Im September 2009 lief ein deutscher Schüler Amok in seinem Gymnasium „Carolinum“. Auch diese Tat war von langer Hand geplant: als Selbstmordanschlag eines 18jährigen mit psychischen und Mobbing-Problemen. Er verletzte Mitschüler und Lehrer, teils schwer, überlebte aber und kam in die Psychiatrie. Vor ziemlich genau einem Jahr schoss dann ein 47-jähriger Ansbacher, psychisch krank, aus einem Auto um sich und tötete zwei Menschen.