Seit Jahren wird an mehreren Schulen in Stuttgart ein islamischer Religionsunterricht angeboten. Eltern, Kinder und Lehrer sind zufrieden. Das Modellprojekt soll ausgeweitet werden. Doch es gibt rechtliche Probleme.

Stuttgart - Der Islamunterricht in der Stuttgarter Friedensschule beginnt mit einem Comic. Darauf zu sehen sind zwei Jugendliche, die sich unterhalten. Pöbeln, ärgern, klarmachen, sagt der eine. Der andere findet das okay. Beleidigen, provozieren. Auch in Ordnung. Schweinefleisch essen? Wie kannst du es wagen, lautet die Antwort. Das ist haram, also im Islam verboten. Nach dem Lesen recken viele Schüler ihre Hände nach oben. „Man ist kein guter Muslim, nur weil man kein Schweinefleisch isst“, sagt ein Junge. „Klarmachen geht auch nicht, der Islam verbietet Gewalt“, sagt eines der Mädchen.

 

Die Friedensschule ist eine von vier Stuttgarter Grund- und Werkrealschulen, in denen in diesem Schuljahr sunnitischer Islamunterricht angeboten wird. Von dem Angebot profitiert allerdings nur ein kleiner Teil der Schüler. In Stuttgart sind 17 000 Grundschüler gemeldet, von denen mehr als 40 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Den sunnitischen Islamunterricht in Stuttgart besuchen im Moment lediglich 240 Kinder, dazu kommen 27 Schüler im alevitischen. Die Landesregierung hat angekündigt, jedes Jahr landesweit bis zu 20 weitere Schulen in das Modellprojekt aufnehmen zu wollen. Vom nächsten Schuljahr an soll der Islamunterricht verstärkt an Realschulen und erstmals an Gymnasien angeboten werden. Wie viele Schulen in Stuttgart dazukommen werden, ist offen. „Wir brauchen immer interessierte Eltern und einen Antrag der Schule“, sagt der Schulrat Manfred Rittershofer. Im Moment liegen dem Staatlichen Schulamt Stuttgart noch keine Anfragen vor.

Rektorin bezeichnet den Islamunterricht als Gewinn

Die 15 Jahre alte Dafina ist froh über die wöchentlich zwei Stunden Islamunterricht. „Es ist interessant, etwas über die eigene Religion herauszufinden“, sagt die Kosovarin. Wenn man eine Frage habe, werde man nicht ausgelacht, sondern bekomme eine Antwort. Zeinap, deren Familie aus Afghanistan stammt, fühlt sich wohl im Unterricht. Der 14-jährige Merdi, der jahrelang den Koranunterricht in einer Stuttgarter Moschee besucht hat, stellt fest, dass er viel Neues erfahre. „In der Moschee lernt man, im Koran zu lesen. Hier im Unterricht reden wir über Inhalte und darüber, wie die Situation in der Welt ist.“

Für Rosalinde Freyd, die Rektorin der Friedensschule, ist der Islamunterricht ein Gewinn für ihre Werkrealschule, in der von 92 Schülern 37 muslimischen Glaubens sind: „Das Angebot hat zu mehr Normalität geführt. Wenn die katholischen und evangelischen Schüler in ihren Religionsunterricht gehen, dann besuchen die muslimischen Schüler ihren Islamunterricht.“ Unter dem Strich sei damit der islamische Glaube genauso aufgewertet worden wie der christliche, weil insgesamt mehr Jugendliche den Religionsunterricht besuchen. Der Islamunterricht trage dazu bei, radikalen Strömungen entgegenzuwirken. Das findet auch Stuttgarts Integrationsbeauftragter Gari Pavkovic und fordert einen noch schnelleren Ausbau gerade in der Sekundarstufe. „Die Jugendlichen suchen nach einer Identität, sie stellen sich die Frage, wie sie den Islam leben sollen. Wir müssen ihnen Antworten anbieten und dürfen das Feld nicht den Extremisten im Internet überlassen“, sagt er.

Unterstützung bekommt Pavkovic von Abdel-Hakim Ourghi, dem Abteilungsleiter Islamische Theologie an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, einer von vieren im Land, an denen islamische Religionslehrer ausgebildet werden. „Wir müssen die Kinder zu religiös mündigen Menschen machen, dann sind sie für die Propaganda der Salafisten nicht anfällig“, sagt er.

Keine staatlich legitimierte Vertretung der Muslime

Mit dem Modellprojekt Islamunterricht sind noch immer rechtliche Hürden verbunden. Beim christlichen Religionsunterricht sind beide großen Kirchen als staatlich anerkannte Glaubensgemeinschaften die Träger des Unterrichts. Also sind sie für den Bildungsplan und die Auswahl der Lehrer mit verantwortlich. Auf Seiten der Muslime fehlt bislang ein staatlich legitimiertes Pendant. Als Religionsgemeinschaft im Land anerkannt sind bisher nur die Aleviten, die deshalb auch Träger des alevitischen Religionsunterrichts sind.

Von sunnitischer Seite liegen dem Kultusministerium zwei Anträge vor. Die Türkisch-Islamische Anstalt für Religion (Ditib) und der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) haben jeweils einen Antrag gestellt, bekenntnisorientierten Religionsunterricht erteilen zu dürfen. Die Antworten stehen noch aus. Die rechtliche Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, heißt es aus dem Ministerium. Yavuz Kazanc vom VIKZ hofft auf eine positive Entscheidung: „Wir wollen eine Anerkennung, irgendwann muss der Islamunterricht aus der Projektphase heraustreten.“

Fachleute schlagen einen Rat der Muslime vor

Der islamische Theologe Ourghi allerdings warnt vor einer Anerkennung der Verbände als Religionsgemeinschaften. „Sie vertreten nur 25 Prozent der Muslime, und sie stehen für einen Importislam aus ihren jeweiligen Herkunftsländern.“ Er fordert stattdessen die Einrichtung eines Rats der Muslime, der mit hier geborenen Muslimen besetzt werden soll, die einen europäischen Islam vertreten. Sein Kollege Jörg Imran Schröter von der PH in Karlsruhe hält es für notwendig, dass sich die Dachverbände zusammentun: „Die Verbände geben sich einer Illusion hin, wenn sie denken, den Islamunterricht alleine stemmen zu können.“ Auch Schröter plädiert für die Einrichtung einer Schura, eines Rates also, dem neben den Vertretern der muslimischen Verbände auch Wissenschaftler und Lehrer angehören sollen, die am Modellprojekt seit Jahren mitwirken.

An der Stuttgarter Friedensschule weiß der Islamlehrer Hüseyin Ceylan (Name geändert) um die rechtlichen Probleme. Trotzdem hofft er darauf, dass der islamische Religionsunterricht bald flächendeckend angeboten wird. „Viele Schüler prahlen damit, Muslim zu sein, ohne zu wissen, was das eigentlich heißt. Sie müssen ein Verständnis für ihre Religion haben, nur dann können sie entscheiden, was richtig und falsch ist.“