Zwei Bundesländer machen ernst mit dem „gläubigem“ Islamunterricht an Schulen. Hessen und Nordrhein-Westfalen sehen sich beide als Vorreiter – gehen aber unterschiedliche Wege.

Stuttgart - Man wird keinen Teppich entrollen und auch nicht zu Allah beten, aber man wird vielleicht Lieder singen und im Koran lesen: Wenn im Bundesland Nordrhein-Westfalen am 22. August das nächste Schuljahr beginnt, wird für den Religionsunterricht ein neues Zeitalter eingeläutet. Erstmals wird in Deutschland flächendeckend in einem Bundesland ein bekenntnisorientierter Islamunterricht angeboten.

 

Er wird anders sein als die neutral gehaltene Islamkunde an den Schulen. „Er wird Verkündigungscharakter haben“, sagt Barbara Löcherbacher vom Schulministerium in Düsseldorf. Aber es werde keine „Indoktrination oder Missionierung“ sein, das sei beim evangelischen und katholischen Religionsunterricht ja auch nicht der Fall. Mehmet Soyhun vom Beirat für den Islamischen Religionsunterricht in NRW ergänzt: „Man wird nicht aus der Entfernung und beschreibend unterrichten, sondern aus einer Binnenperspektive.“

In Düsseldorf hat man den Eindruck, am Ende eines langen Weges angelangt zu sein. Barbara Löcherbacher zählt die bürokratischen Hürden und gescheiterten Modellversuche auf, die vor dieser Neuerung standen, seit der frühere Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) sich in den 80er Jahren für Islam als Religionsfach ausgesprochen hat. Schon lange ist die CDU auf diesen Kurs eingeschwenkt, die Zustimmung für den bekenntnisorientierten Islamunterricht erfolgte im Jahr 2000 fraktionsübergreifend. Aber eins der Grundprobleme blieb knifflig, und jedes der 16 deutschen Kultusministerien hat mit ihm zu tun: Mit welchem Ansprechpartner bei den Muslimen soll man über Lehrerausbildung und Lehrpläne verhandeln, wenn es bei ihnen keine vom deutschen Staat anerkannte Religionsgemeinschaft gibt? Nordrhein-Westfalen etablierte einen Beirat aus Experten, Verbandsvertretern und vom Staat bestimmten Muslimen. Zurzeit nehmen im bevölkerungsreichsten Bundesland 10 000 Schüler an ausgewählten Schulen an der Islamkunde teil, aber der neue in Deutsch gehaltene Islamunterricht zielt auf ein wesentlich breiteres Publikum: Rund 320 000 Schüler muslimischen Glaubens leben in NRW. Eine Umfrage unter ihren Eltern ergab, dass sich 85 Prozent fürs Mitmachen entscheiden wollen, die Teilnahme ist freiwillig. Das Unterrichtsangebot wird zuerst an den Grundschulen eingeführt, und zunächst gehen nur 120 Lehrer an den Start – 40 mehr als bei der Islamkunde.

320 000 Schüler muslimischen Glaubens gibt es in NRW

Düsseldorf ist führend, aber auch andere Länder machen mittlerweile Nägel mit Köpfen. Niedersachsen will vom nächsten Jahr an 50 000 Schülern den Islamunterricht anbieten. Auch die schwarz-gelbe Landesregierung in Hessen hat dieser Tage die Weichen für die Einführung des bekenntnisorientierten Islamunterrichtes an 25 Grundschulen zum Schuljahresbeginn 2013/14 gestellt.

Wenn die Gespräche mit zwei ausgewählten Religionsgemeinschaften über die Lehrpläne zügig abgeschlossen werden, könne man an den Start gehen, sagt Hessens Kultusministerin Nicola Beer (FDP). In vier Gutachten hatte Wiesbaden prüfen lassen, ob der Ditib-Landesverband Hessen – ein eingetragener Verein – sowie die ursprünglich aus Pakistan stammende Glaubensgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat die Voraussetzung als langfristigere Kooperationspartner für das Schulministerium infrage kommen. Die Antwort war ein klares Ja. Beide Gemeinschaften erfüllten die Vorbedingungen, sagt der Trierer Staatsrechtler Gerhard Robbers, mahnt allerdings an, dass der Staat bei beiden Gemeinden den Unterricht „intensiv aufsichtlich begleiten“ und überprüfen müsse, wie vor Ort unterrichtet werde. „Der Islamunterricht wird auf Deutsch stattfinden, er wird Pflichtfach und versetzungsrelevant sein“, sagt Beer. „Deshalb muss die dauerhafte Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften gewährleistet sein.“ Wäre dem nicht so, stünden die Schüler vielleicht nach ein oder zwei Jahren ohne Lehrer da.

Baden-Württemberg arbeitet noch an einem Konzept

In Hessen ist man der Überzeugung, eine für Deutschland modellhafte Lösung gefunden zu haben: „Wir glauben, dass wir im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen eine verfassungskonforme Lösung für den Islamunterricht gefunden haben“, sagt Beer. Dort spiegele der mit Experten, Verbänden und vom Staat bestimmten Muslimen besetzte Beirat „eine Gemeinsamkeit verschiedener Religionsgemeinschaften vor, die es de facto im Islam gar nicht gibt“, sagt Beer. Im Übrigen widerspreche das Düsseldorfer Modell der Trennung zwischen Staat und Religion. „Wir in Hessen geben keine Inhalte vor. Wir lassen die Religionsgemeinschaften den Unterricht erarbeiten, prüfen dann aber, ob wir das Curriculum und die Lehrkräfte genehmigen.“ In einem Schreiben an die hessische Landesregierung hat die Düsseldorfer Kultusministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ihren Weg verteidigt, er fuße immerhin auf einer Empfehlung von Wolfgang Schäubles Islamkonferenz von 2008. Gleichwohl räumt Löhrmann ein, dass es sich um eine „Übergangsregelung“ und eine „pragmatische Zwischenlösung“ handele.

Auf welche Weise Baden-Württemberg den von der grün-roten Landesregierung gewünschten „Ausbau“ des Islamunterrichts vollziehen will – nach Wiesbadener oder Düsseldorfer Muster –, ist offen. Bis Herbst, so eine Sprecherin des Kultusministeriums in Stuttgart, werde das Fachreferat eine Kabinettsvorlage hierzu fertig haben. Bei den 20 Grundschulen und sechs Hauptschulen, die schon heute 1000 Schülern modellhaft bekenntnisorientieren Islamunterricht anbieten, sind vor allem sunnitische, aber auch alevitische Gemeinden /einbezogen. Im Nachbarland Bayern sieht man keinen akuten Handlungsbedarf.