An der Neckarschule in Mannheim ist islamischer Religionsunterricht ganz normal geworden. Jeder zweite Grundschüler ist Muslim. Nur in der Adventszeit grübelt das Lehrerkollegium: Wie feiert man mit der christlichen Minderheit?

Mannheim - Das Büro von Direktorin Brigitte Bauder-Zutavern erinnert in seiner Größe mehr an den Salon eines Residenzfürsten denn an ein Rektorat. Einen Vorteil muss es ja haben, wenn man im ältesten Schulhaus Mannheims im Stil der Gründerzeit arbeitet. Um zu erklären, warum sie ihre Neckarschule vor sechs Jahren beim Modellversuch des Landes für einen bekenntnisorientierten Islamunterricht anmeldete, schiebt die Rektorin ihr Laptop über den Tisch. Eine Grafik ist zu sehen: Die Hälfte der Torte ist lila und symbolisiert die Schüler muslimischen Glaubens, ein Viertel ist blau und zeigt die Christen, ein Viertel ist rot und zeigt Atheisten. „Sehen Sie den dünnen weißen Strich, das ist ein buddhistischer Schüler“, sagt die Rektorin.

 

Angesichts der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse – die Statistik stammt von 2006 – erübrigen sich alle Fragen, doch die Rektorin redet sich schon ins Thema hinein: „Es macht keinen Sinn, eine solche Entwicklung zu ignorieren. Wir wollten, dass der Islamunterricht herauskommt aus den Hinterhofmoscheen. Auch muslimische Kinder haben ein Recht auf Religionsunterricht.“ Zurzeit sind unter den 330 Schülern lediglich elf evangelische Kinder, bei den Katholiken fehlt derzeit wegen hoher Fluktuationsraten in Klasse drei – viele bulgarische Familien ziehen zu, andere wieder weg – etwas der Überblick. Aber Tatsache ist, dass es schwer ist, überhaupt einen evangelischen Religionsunterricht auf die Beine zu stellen. Man versucht es, indem man Kinder von der ersten bis zur dritten Klasse zusammenzieht.

Eine fast typische Grundschule – mit 85 Prozent Ausländern

Die Schule versteht sich als „Lern- und Lebensraum“ und mit ihren Sonnenblumenbildern an den Fenstern, dem Aquarium und dem alten Teppich im Lehrerzimmer strahlt sie eine typische Grundschulgemütlichkeit aus. Dabei sind 85 Prozent der Schüler Ausländer – keine deutschen Staatsangehörige mit Migrationshintergrund, sondern Menschen ohne deutschen Pass. Der Stadtteil Neckarstadt-West, wo die Schule liegt, hat eine Ausländerquote von mehr als 42 Prozent.

Aber führen die Trennlinien, das Unterscheiden von deutsch und nicht-deutsch, christlich und muslimisch, überhaupt weiter? Rektorin Bauder-Zutavern sagt Nein, sie wolle das Gemeinsame zwischen Kulturen und Religionen herausstreichen. Seit fast 40 Jahren unterrichtet sie an Grundschulen, einen gewissen Erfahrungsschatz darf man der 60-Jährigen unterstellen. Sie sagt: „Wissen Sie, die Eltern – ob christlich oder muslimisch – wollen alle das Gleiche: ein gutes Leben für ihre Kinder, Frieden, gute Arbeit und irgendwie überleben!“

Religionslehrerin Hülya Balkis (29) ist Mannheimerin. Sie trägt kein Kopftuch, sie ist verbeamtete Lehrerin – wie es alle Religionslehrer an staatlichen Schulen sein müssen – und sie streckt dem Besucher freundlich die Hand zur Begrüßung hin. Mit ihren zwei Dutzend muslimischen Schülern der ersten Klasse bildet sie einen Sitzkreis. Sie sagt „Salam aleikum“ und knüpft an die vergangene Stunde an: „Was hat Abraham denn damals über Allah herausgefunden“, fragt sie die Kinder. Eins antwortet, dass Gott unsichtbar und überall sei. Ein anderes sagt, dass er die Erde erschaffen habe und die Menschen, die Tiere und die Blumen. Mit Schautafeln führt Hülya Balkis durch die Stunde, sie zeigt „die Sterne, die leuchten“ und „den Mond, der uns leitet“. Die Lehrerin spricht manchmal von Abraham, manchmal benutzt sie den arabischen Namen Ibrahim. Sie singt mit den Kindern Lieder auf Deutsch, die einen arabischen Vers enthalten: „Allahu Subhanahu wa Ta’ala“, was bedeutet, Gott sei gepriesen und erhaben.

Für die Klasse einen Nenner zu finden fordert Balkis heraus. Sie hat Schüler aus der Türkei, Serbien und dem Irak, sie hat Schiiten, Sunniten und Aleviten. Es sei wichtig, dass die Kinder ihre Religion in deutscher Sprache lernten, sagt sie. Mancher, der zu Hause Suren gehört und nicht verstanden habe, erlebe hier den Aha-Effekt: „Ach, so ist das gemeint!“

Kontroverse Themen wie etwa die Beschneidung bleiben an der Grundschule ausgespart. „Wir gehen kritischen Fragen nicht nach.“ Es wäre, da sind sich Religionspädagogen einig, eher ein Thema für eine gymnasiale Oberstufe. Im Unterricht soll das Verbindende im Vordergrund stehen, sagt Balkis, man spreche über die fünf Säulen des Islam, das menschliche Miteinander, das Familienleben. Man werde Suren lernen und Bittgebete sprechen. In der dritten Klasse wird eine Moschee besucht. Wer will, der darf zur Anschauung mal einen Gebetsteppich mit in die Schule bringen.

Eine „gewisse Unsicherheit“ in der Adventszeit

Eine Umfrage an den 20 Modellschulen im Land durch die Pädagogische Hochschule Karlsruhe hat ergeben, dass der Islamunterricht bei Lehrern, Kindern und Eltern sehr gut ankommt. „Wir haben fast nur positive Rückmeldungen, da kommt Dankbarkeit und die Ermunterung: Macht weiter so“, sagt Jörg Imran Schröter, Dozent für Islamische Theologie in Karlsruhe, der die Evaluation durchführte. Es habe kaum negative Stimmen gegeben, vereinzelt habe es die Erwartung von Eltern gegeben, dass das Schulkind nach einem Jahr „den halben Koran auswendig kann“.

An der Neckarschule setzt nur in der Adventszeit Nachdenklichkeit ein. Es gebe da stets eine „gewisse Unsicherheit und Diskussionen“ im Kollegium, sagt Rektorin Bauder-Zutavern, über die Art und Weise, wie und ob man eine Weihnachtsfeier abhält. Man hat sie vor Jahren abgeschafft, auch das Aufstellen eines Christbaumes in der Schule entfällt. Was hätte diese Symbolik auch für einen Sinn angesichts einer Minderheitenreligion. In der nahen Lutherkirche könnte man vielleicht feiern – einen ökumenischen Gottesdienst. Aber in der Kirche ist längst die Diakonie eingezogen. Die Zahl der evangelischen Gläubigen in diesem dicht bebauten Viertel ist von 20 000 vor 100 Jahren, als man die Kirche baute, auf heute 1300 gesunken.

In der Neckarschule bleibt es den Lehrern überlassen, ob sie Adventskränze für ihre Klassen besorgen. Hülya Baksis, deren Stammschule in einem anderen Stadtteil liegt, hat in ihrer Klasse einen Adventskranz aufgestellt, denn da gebe es eine christliche Mehrheit. Die Pädagogin wünscht sich, dass man „multireligiöse Feiern“ abhält – mit Liedbeiträgen von allen Gruppen. An ihrer Schule, der Humboldt-Schule, klappe das Miteinander von Christen und Muslimen ganz gut. Es werden Wege gesucht, wie man auch die muslimischen Feste – das Fastenbrechen oder das Opferfest – im Schulalltag behandelt. Beide Feste fielen in diesem Jahr in Ferienzeiten. Aber die muslimischen Kinder hätten mit großem Eifer Karten für das Opferfest gemalt, auf Arabisch die Wünsche für ein gesegnetes Fest daraufgeschrieben. Manche Kinder haben ihre Karten mit Schäfchen bemalt. Das erinnert fast an Weihnachtspost.