Unternehmer und Manager warnen vor Illusionen über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Deshalb fordern sie die Politik auf, weitere Reformen auf den Weg zu bringen.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Isny - Namhafte Wirtschaftsführer ermahnen die Bundesregierung, trotz aller Sorgen um Terror und die Flüchtlingsfrage die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht zu vernachlässigen. „Die Deutschen leben in einer Wettbewerbsfähigkeitsillusion“, warnte etwa Christoph Franz, langjähriger Chef der Lufthansa und heute Verwaltungsratsvorsitzender des Schweizer Pharmariesen Roche, auf der sogenannten Isny-Runde. Zu dem Treffen lädt seit 36 Jahren der Ludwigsburger Unternehmer Helmut Aurenz Unternehmer, Manager und Politiker ins Allgäu ein.

 

Dass die deutsche Wirtschaft heute im internationalen Vergleich gut dasteht, liegt nach Auffassung von Franz auch an verzerrten Rahmenbedingungen. Die lasche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank erzeug künstlich niedrige Zinsen und einen zu billigen Euro; hinzu kämen außergewöhnlich niedrige Rohstoffpreise. „Die Deutschen lehnen sich zu sehr zurück“, meint er und fürchtet, dass es nach einer möglichen Euro-Aufwertung ein böses Erwachen für die hiesige Wirtschaft geben werde. In vielen Ranglisten, in denen Innovationskraft, die Zahl der Patente oder die Komplexität von Verwaltungsvorschriften gemessen werde, falle Deutschland zurück, moniert er.

Digitalisierung und Vernetzung der Wirtschaft

Unterstützt wurde Franz in ähnlicher Deutlichkeit von Karl-Ludwig Kley, Chef des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck. Kley nannte als Minimalforderung an die große Koalition, die Agenda 2010 nicht vollends zurückzudrehen und bei der Energiewende zu retten, was noch zu retten sei. Die Energiepreise seien in Deutschland bereits jetzt so hoch, dass große Investitionen in seiner Branche praktisch ausschließlich außerhalb Deutschlands getätigt würden. Auf Zukunftsfeldern wie der Biotechnologie oder Flüssigkristallen (etwa für Handy-Displays) sei Merck der einzige verbliebene deutsche Anbieter. Alle wesentlichen Wettbewerber kämen aus den USA oder Asien.

Auch der neue VW-Chef Matthias Müller fürchtet, dass „Deutschland und Europa für den fundamentalen Wandel nicht gerüstet sind“. Er bezieht das vor allem auf die Herausforderung durch Digitalisierung und Vernetzung der Wirtschaft. „Die wirtschaftlichen Gewichte werden in der Welt gerade neu verteilt“, meinte er. Vielen Branchen – auch der Autoindustrie – stehe eine Transformation nach dem Muster der Unterhaltungselektronik noch bevor.

Skeptischer Zungenschlag bei Flüchtlingsfrage

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier konterte einen Teil der Forderungen aus der Wirtschaft. Wenn die Wirtschaft Veränderungen verlange, dann ginge das in einer Demokratie nur, indem sie das Vertrauen der Bevölkerung genieße. Das entstehe jedoch nicht, wenn man nur schwarzmale. Auch der Abgasskandal bei VW oder die Exzesse der Banken hätten nicht zur Vertrauensbildung beigetragen. Bouffier gab sich zuversichtlich, dass die von der Wirtschaft geforderte digitale Transformation durchzusetzen sei, und forderte die Unternehmer zu mehr Selbstbewusstsein auf. „Wir schaffen das“, so meinte er in Anlehnung an das geflügelte Kanzlerinnenwort, müsse auch für die anstehenden ökonomischen Herausforderungen gelten.

Einen sehr skeptischen Zungenschlag hatte die Diskussion auch in Bezug auf die Flüchtlingsfrage. Während Manager vor einigen Monaten noch die Zuwanderung als Chance für Deutschland lobten, und auch VW-Chef Müller die Flüchtlinge als „historische Herausforderung auch für VW“ annimmt, war es insbesondere Kley, der eine „Umkehr“ in der Flüchtlingspolitik forderte und die Aufnahmefähigkeit der Unternehmen für Migranten in Frage stellte.