Israel hat gewählt und nichts ist entschieden. Benjamin Netanjahus Regierungsbündnis ist wie erwartet stärkste Kraft geworden. Der Star des Abends war aber ein anderer Kandidat – ein Liberaler.

Jerusalem - Bei den israelischen Parlamentswahlen zeichnete sich Dienstagabend eine fast sensationelle Überraschung ab. Dem politischen Newcomer Jair Lapid, ehemaliger TV-Starmoderator und in der liberalen, säkularen Mitte angesiedelt, ist ein Senkrechtstart gelungen. Seine Parteineugründung Jesch Atid (es gibt eine Zukunft) holte laut ersten Prognosen nach Schließung der Wahllokale um 22 Uhr Ortszeit 19 Mandate. Damit dürfte Jesch Atid zweitstärkste Fraktion in der neu gewählten Knesset werden, noch vor der Arbeitspartei. Die ultranationalistische Partei Habajit Hajehudi, die von dem High Tech-Millionär Naftali Bennet geführt wird, belegte nach diesen Ergebnissen mit etwa zwölf Mandaten nur den vierten Platz.

 

Wahlsieger wurde wie erwartet Premier Benjamin Netanjahu. Sein Wahlbündnis aus rechts-konservativem Likud und der nationalrechten Partei Yisrael Beitenu des kürzlich zurück getretenen Außenministern Avigdor Lieberman schaffte es erwartungsgemäß, stärkste Fraktion zu werden. Aber die Zahl ihrer Mandate fiel mit etwa 31 Mandaten weit hinter die 42 Sitze zurück, die Beide zusammengerechnet 2009 erzielt hatten. Der Knesset gehören 120 Abgeordnete an. Für die Regierungsmehrheit von 61 Sitzen muss Netanjahu mindestens zwei weitere Fraktionen ins Boot holen. Für eine rein nationalrechte, religiöse Koalition könnte es ausgesprochen knapp werden. Die Lager der rechten Parteien sowie der Parteien links der Mitte lagen weit dichter beieinander als in den Umfragen vorhergesagt. Erste Fernsehprognosen sahen das Verhältnis bei 61 zu 59.

Der Präsident leitet das Verfahren

Netanjahu sprach sich noch in der Wahlnacht für eine möglichst breite Regierungskoalition aus. Er nahm sofort Kontakt mit Lapid auf. Ein liberaler Partner wie dessen Partei Jesch Atid dürfte Netanjahu zwar mit Blick auf sein internationales Image hoch willkommen sein. Aber schon die Positionen des säkularen Lapid, der einen Wehrdienst für alle fordert, und der religiös-orientalischen Schas-Partei, die im Wahlkampf einen Feldzug gegen die Rekrutierung ultraorthodoxer Juden führte, sind kaum einen Hut zu bringen. Der in Israel ohnehin komplizierte Koalitionspoker könnte für ihn extrem schwierig werden.

In den nächsten Tagen müssen die gewählten Fraktionen ihren Kandidaten für das Amt des Premierministers Staatspräsident Schimon Peres vorschlagen. Er beauftragt dann den Meistgenannten, Gespräche über eine Koalitionsbildung zu führen. Nicht ausgeschlossen ist, dass die fragmentierte linke Mitte bestehend aus Arbeitspartei, Jesch Atid, der Hatnua von Zipi Livni und der Kadima sich noch auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten einigen. Peres könnte einem solchen Vorschlag gegenüber durchaus zugeneigt sein.

Erstaunlich hohe Wahlbeteiligung

Auch Meretz würde dabei wahrscheinlich mitziehen. Die Intellektuellen-Partei mit einem klaren linken Profil konnte von den Platzkämpfen der liberalen Mitte profitieren und kann vermutlich ihre bislang drei Mandate verdoppeln. Anders als bei früheren Wahlen fand das Rennen diesmal großteils innerhalb der Blöcke statt. Nicht nur die linken Parteien machten sich selber stärkste Konkurrenz. Auch Netanjahus Likud kämpfte vor allem gegen Abwanderungstendenzen hin zu den Ultranationalisten der Bennett-Partei.

Erstaunlich hoch fiel die Wahlbeteiligung aus. Schon am Nachmittag hatte sich eine Rekordzahl abgezeichnet, wie man sie seit 1999 nicht erlebt hatte. Weil die Wiederwahl Netanjahus als gesichert galt, hatte der Wahlkampf selber eher geringes Interesse geweckt. Umso mehr hatten Parteiführer in den vergangenen Tagen dramatische Aufrufe an die mehr als 5,6 Millionen Wahlberechtigen gestartet, unbedingt von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Insgesamt stellten sich 34 Parteilisten der Wahl.