Gegen Bulgariens anhaltende Landflucht stemmt sich die heimische IT-Avantgarde: Über Facebook suchen Software-Entwickler kreative Mitstreiter, um ein IT-Dorf zu gründen und die Stadt hinter sich zu lassen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Varna - Erst verschwinden die Jungen. Dann schließen der Kindergarten, die Schule und der Dorfladen. Am Ende verabschiedet sich der Arzt, wird die letzte Buslinie in die nächste Kreisstadt eingestellt – und für die Verbliebenen bleibt nur noch das Lesen von Todesanzeigen. Das Phänomen des Sterbens ganzer Dörfer ist allen Staaten des Balkans vertraut. Schon zu sozialistischen Zeiten hatte beispielsweise in Bulgarien die Industrialisierung und Kollektivierung der Landwirtschaft die Abwanderung der Landbewohner in die rasch wachsenden Städte forciert.

 

Doch erst nach der politischen Wende Anfang der 90er Jahre sollte sich der Aderlass der Dörfer durch den völligen Zusammenbruch der ländlichen Wirtschaftsstrukturen dramatisch beschleunigen. Das für seine ursprüngliche Natur gerne gerühmte Bulgarien zählt mittlerweile mehr als 170 menschenleere Geisterdörfer. In über tausend weiteren Dörfern ist die betagte Bevölkerung bereits unter 50 Bewohner geschrumpft.

Sie wollen lieber in einem kleinen, sauberen Dorf arbeiten

Gegen Bulgariens anhaltende Landflucht stemmt sich nun ausgerechnet die heimische IT-Avantgarde: Stadtmüde Programmierer und Softwareentwickler suchen per Facebook nach Mitstreitern zur Wiederbelebung eines Geisterdorfs, denn ihren gut bezahlten Jobs wollen sie lieber in einem kleinen, sauberen Dorf als in den stickigen Büros von Bulgariens Großstädten wie Sofia, Plovdiv oder Varna ausüben. Ein ruhiges Leben, frische Luft und ein „lächelndes Herz“ verspricht sich der 28-jährige Programmierer Iwan Kukow aus Plovdiv von einem Berufsleben auf dem Land. In seiner Branche könne man an jedem Ort der Welt arbeiten, begründet er seinen Aufruf an Gleichgesinnte, gemeinsam ein Dorf zu kaufen, um dort einige IT-Schmieden zu gründen. Nur ein verlässlicher Internetzugang und die sichere Stromversorgung müssten garantiert sein. „Ich mache oft Home-Office, da ist es egal, ob mein Arbeitsplatz in einem Dorf ist“, sagt Kukow und will bei der gleichen Firma angestellt bleiben.

Seit die heimische Presse Ende März erstmals über das Vorhaben des IT-Experten berichtete, mehrere Dutzend Gleichgesinnte für das Berufsleben auf dem Land zu gewinnen, brummt es auf den entsprechenden Facebook- und Chatsites. Die Idee, den eigenen Hightechberuf mit entspannender Gartenarbeit und Bienenzucht vereinbaren zu können, begeistert viele der städtischen IT-Freaks.

Auf Treffen im ganzen Land will Kukow seine Dorf-Gründungspläne nun mit den über 1700 Interessierten diskutieren. Das Dorf der IT-Spezialisten würde auch Ärzten, Kindergärtnerinnen, Gastronomen und Biobauern neue Berufsperspektiven auf dem Land bieten, ist Kukow überzeugt. Das Interesse sei enorm.

Häuser kosten 500 bis 3000 Euro

Viel Startkapital hätten die IT-Stadtflüchtlinge keineswegs nötig. In Bulgariens entvölkerten Dörfern sind ganze Häuser für umgerechnet 500 bis 3000 Euro zu haben, Ackerland kann schon ab 50 Euro pro Hektar gekauft werden. Ein Hindernis sind für potenzielle Stadtemigranten mit Kindern jedoch nicht nur fehlende Ärzte, sondern auch die weiten Wege in Schulen und Kindergärten.

Dennoch verspricht sich die Tageszeitung „Novinar“ von der Initiative „beiderseitigen Nutzen“. Der Zuzug der IT-Spezialisten in die Dörfer würde auch branchenfremde Arbeitsplätze schaffen, gleichzeitig würde die Landluft den Sesselklebern aus der IT-Branche gut tun. „Mit ein bisschen Glück wäre das wenigstens für ein paar Dörfer die Chance, wieder aufzublühen.“