An den Küsten Italiens landen oder stranden täglich 500 Migranten. Nach einem Jahr relativer Ruhe nimmt die Zahl der Flüchtlinge an Italiens Südküste damit wieder rapide zu. Rund 19 400 sind es bisher dieses Jahr.

Rom, Süditalien - Auf einem Fischkutter 336 Personen; 99 auf einem hölzernen Kahn ohne Sonnenschutz. Auf Schlauchbooten die anderen. Männer, Frauen, Kinder, Neugeborene sogar. Nach einem Jahr relativer Ruhe nimmt die Zahl der Flüchtlinge an Italiens Südküste wieder rapide zu. Rund 19 400 sind es bisher dieses Jahr. Jeden Tag ziehen Marine, Küstenwache und Polizei etwa 500 Personen an Land. Und nachdem in Catania – unmittelbar vor einem beliebten Badestrand – vor zwei Wochen sechs Flüchtlinge ertrunken waren, griffen kürzlich die Gäste im südsizilianischen Ferienort Porto Palo zur Selbsthilfe: Mit einer Menschenkette und einem langen Seil holten sie 160 Flüchtlinge von Bord eines Motorboots, das 30 Meter vor der Küste gestrandet war. Wobei diese Aktion schon der zweite Glücksfall für die Passagiere aus Syrien und Ägypten war. Der erste bestand nach den Worten eines Polizeioffiziers darin, dass sie angekommen waren. Die Schleuser hatten das Steuerruder so blockiert, dass der Kutter manövrierunfähig durchs Mittelmeer trieb.

 

Hoffnungslos überfüllte, nicht immer hochseetaugliche Boote, abenteuerliche Rettungsaktionen zum Teil bei Sturm und Nacht – zwar gleichen sich die Bilder von 2013 und jene der vergangenen Jahre. Dahinter verbergen sich aber etliche Änderungen. Zum einen haben die Ermittler herausgefunden, dass weniger Flüchtlinge als früher direkt von den nordafrikanischen Küsten aus starten, sondern dass Schleuser sie zunächst im Bauch großer Handelsschiffe bis vor die italienischen Gewässer fahren und dort auf mitgeschleppte Kleinboote umladen, die dann ihrem Schicksal überlassen werden.

Zu Fuß kann man schneller weiterkommen

Zum anderen wird nach einem stürmischen Auftakt im Frühsommer die italienische Insel Lampedusa viel weniger angesteuert als in den Vorjahren. Hauptziele sind heute Sizilien und Kalabrien. Polizei und Anwälte erklären das damit, dass die Migranten nicht auf einer winzigen Insel festsitzen und den Personalfeststellungen der Einwanderungsbehörden ausgeliefert sein wollen, sondern dass sie einen schnelleren Weg suchen, auf dem Festland unterzutauchen. „Sobald sie irgendwo zu Fuß weiterkommen, sind sie weg“, hieß es im italienischen Fernsehen. Helfer von Rotem Kreuz, Caritas und ehrenamtlichen Organisationen erklären, die Leute wollten „zu 90 Prozent“ nicht in Italien bleiben, sondern zu Verwandten oder Landsleuten nach Deutschland und Frankreich weiterreisen.

In Berichten heißt es, an vereinbarten Treffpunkten an Land warteten bereits die Kontaktleute der Schleuser mit Bahntickets – gegen Aufpreis natürlich. Hunderte von Migranten sind dieser Tage vor Erledigung der Formalitäten aus ihrem Aufnahmelager ausgebrochen. Von den mehr als 300 Flüchtlingen etwa, für die man vor drei Tagen im südsizilianischen Agrigent eine Zeltstadt errichtet hatte, waren am Mittwoch nur mehr fünfzehn anwesend. Und unter den Männern, die vor Catania ertrunken waren, befand sich auch ein Ägypter, der die Fahrt seit 2004 schon zum fünften Mal unternommen hatte. Viermal hatten ihn die Behörden zurückgeschickt.