Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi folgt in Brüssel seiner eigenen Agenda. Er will nicht nur mehr Wachstum und Flexibilität – Renzi verhilft außerdem seinen eigenen Leuten zu Schlüsselstellungen in der Europäischen Union.

Brüssel - Matteo Renzi konnte zufrieden sein nach dem EU-Gipfel. Sein Land habe sich durchgesetzt, in „Inhalt und Stil‘, erklärte Italiens sozialdemokratischer Regierungschef in Brüssel und schob hinterher: „Ohne ein Grundlagenpapier über eine Agenda für die kommenden Jahre hätten wir Jean-Claude Juncker nicht als Kommissionschef unterstützt.“ Die neue Agenda trägt Renzis Züge. Die Haushaltspolitik soll künftig flexibler interpretiert werden, das gefällt auch Frankreichs Präsident François Hollande.

 

Und es geht um mehr Wachstum, das kommt auch bei Kanzlerin Angela Merkel an. Renzi ist das neue Bindeglied in Europa. Dazu passt, dass sein Land am 1. Juli den EU-Ratsvorsitz für das kommende Halbjahr übernimmt. Sein Programm erschöpft sich nicht in Flexibilität und Wachstum. Renzi geht es um mehr. Zielstrebig arbeitet der Sozialdemokrat daran, bei der Verteilung von Jobs im neuen EU-Personaltableau Vertraute aus seiner Partei PD in Schlüsselstellen zu bringen. Sein Vorgänger Enrico Letta wird als Nachfolger von Ratspräsident Herman Van Rompuy gehandelt, ein Amt, das wenig Glanz bringt, aber viel Einfluss. Der Ratspräsident bestimmt für jeden EU-Gipfel die Tagesordnung und entscheidet, welches Thema oben platziert und vorangetrieben wird.

Rom will, dass sich Brüssel an den Kosten beteiligt

Sollte es mit Letta nichts werden, könnte Renzis Außenministerin Federica Mogherini zur Außenbeauftragten aufsteigen. Kleiner Nebeneffekt: die Außenpolitik der EU könnte vom Krisenherd Ukraine auch auf die latente Krisenregion Mittelmeer blicken. Die prekäre Lage in Libyen treibt die ehemalige Kolonialmacht Italien um, auch weil das Land Ausgangspunkt für die Flucht vieler Flüchtlinge über das Mittelmeer ist. Italien hat seit Renzis Machtantritt im Februar mit dem Programm „Mare Nostrum“ eine kostspielige Rettungsaktion für Bootsflüchtlinge gestartet. Renzi wünscht eine Beteiligung der EU an den Kosten. Aber er hat auch einen menschlichen Impuls. Es könne nicht angehen, dass Europa kleinste Dinge regele, aber in der Flüchtlingspolitik nicht vorankomme, hatte er kürzlich gesagt. „Ein Europa der Möglichkeiten“ lautet die Überschrift über Italiens Ratspräsidentschaft.

Wenig Glanz, aber dafür viel Einfluss

Die Flüchtlingspolitik wird von italienischen EU-Diplomaten genannt, aber auch der andere Schwerpunkt der Justizpolitik, etwa der Aufbau einer europäischen Staatsanwaltschaft. Dazu kommen andere drängende Themen. Nach der Sommerpause stehen im September die Ergebnisse des Bankenstresstests an. Das wird noch mal Unruhe geben. Enorm wichtig sind daher Detailregelungen beim Aufbau der Bankenunion mit Aufsicht und Abwicklungsfonds für marode Institute, die in den kommenden Monaten anstehen. Auch dort schafft Renzi Fakten. Sein italienischer Parteifreund Roberto Gualtieri soll im neuen Europaparlament den einflussreichen Wirtschaftsausschuss führen.

Neben dem Ratspräsidenten noch so ein Amt im Maschinenraum der EU, das wenig Glamour, aber viel Einfluss bringt. Dazu passt, dass Italiens Sozialdemokraten durch Gianni Pittella auch den wichtigen Vorsitz der sozialdemokratischen Fraktion übernehmen, wenn Martin Schulz (SPD) am Dienstag als Parlamentspräsident bestätigt wird. Europa lernt Italienisch, Renzi überzieht die EU so mit einem feinen Netz an reformwilligen Mitstreitern. Merkel mag die hyperaktive Agilität des 39-jährigen Renzi leicht verstören, aber, dass sich im Süden überhaupt etwas bewegt, kommt ihr gelegen. Allerdings muss Italiens Premier nach dem machtvollen Auftreten in Brüssel auch daheim liefern. Der italienische Wirtschaftsführer Giorgio Squinzi erklärte unlängst: Renzis Regierung sei wie ein Ferrari. „Es hat einen kraftvollen Motor, aber man muss den Wagen auch erst mal fahren“, meinte Squinzi. Der Leistungsnachweis gilt nicht nur für Italien, sondern auch für Europa.