Italien bekommt ein neues Parlament, aber die alten Strukturen bleiben. Doch wenn nicht einmal Experte Mario Monti die Krise bewältigen konnte, wer dann? Und auf welcher Basis?

Rom - Am Beginn seines sechsten Krisenjahres wählt Italien ein neues Parlament. Formal ist das ein Fortschritt. Denn im Herbst 2011, als die Lage am düstersten war, als Europas zweitgrößtes Industrieland nicht nur sich selbst, sondern die ganze Eurozone in den Abgrund zu reißen drohte, da war die Demokratie suspendiert. Da ließ sich Europas Politik auf das Katz-und-Maus-Spiel der Finanzmärkte ein, da drängte es einen gewählten Ministerpräsidenten aus dem Amt und setzte von oben einen der Ihren durch. Da durfte das Volk nicht wählen. Wen auch? Italiens Regierungsparteien hatten abgewirtschaftet, die Opposition war weder in der Lage noch willens, den Karren Silvio Berlusconis aus dem Dreck zu ziehen.

 

Italiens Schulden steigen weiter

Der Sache nach war die Bestellung Mario Montis nötig und sinnvoll. Jetzt ist die Zeit des „Wunderheilers“ abgelaufen. Er hinterlässt gemischte Gefühle. Brüssel, Berlin, Paris, der Internationale Währungsfonds, sie sehen ihre Erwartungen erfüllt: Monti habe den Haushalt gefestigt, nötige Reformen angestoßen; Italien sei auf dem richtigen Gleis in die Zukunft. Die Zinslast für Italiens Staatsschulden hat sich halbiert, das Land ist kein Spekulationsobjekt mehr. Das beruhigt ungemein, auch den Rest Europas. Dennoch: Italiens Schulden als solche steigen weiter.

Bei den Bürgern ist von einer Wende zum Positiven sowieso nichts angekommen. Sie sehen die Rezession fortschreiten, ihre Ersparnisse dahinschmelzen, ihre Löhne auf das Niveau von vor zwanzig Jahren zurückfallen. Sie spüren in den Familien, wie die Arbeitslosigkeit zunimmt. Am stärksten ist just während der Ära Monti die Jugendarbeitslosigkeit gestiegen: von etwa 28 auf 36,6 Prozent. Und hinter den Zahlen stecken Zehntausende konkreter Personen, die keine Zukunft mehr sehen.

Steuern und Abgaben steigen

Monti hat die Haushaltssanierung auf gleichem Wege betrieben wie Berlusconi: massiv hat er Steuern und Abgaben erhöht; auf soziale Ausgewogenheit hat er wenig geachtet. Europa kann von Glück sagen, dass das Vertrauen, die Hoffnung auf den Fachmann Monti so groß waren: gesellschaftliche Unruhen, Flächenbrände des Protests sind ausgeblieben. Genauso ausgeblieben ist aber auch der schwierigere Teil der für Italien unerlässlichen und seit Jahrzehnten aus Bequemlichkeit und Konzeptlosigkeit hinausgeschobenen Strukturreformen: die Reduzierung der Staatsausgaben und ein endlich auf Effizienz setzender Umbau der öffentlichen Verwaltung. Italien erstickt in seiner Bürokratie. Das hat auch Monti nicht geändert.

Er konnte es auch gar nicht. Zum einen fehlte ihm die Zeit, zum anderen wurde Montis Professorenkabinett andauernd gebremst – von der alten, jeder Reform abholden Ministerialbürokratie ebenso wie von den Parteien im Parlament, die sich nur für wenige Wochen zu einer Großen Koalition im Interesse Italiens überreden ließen. Und schlichtweg gescheitert ist Montis Versuch, im Dialog mit den Sozialpartnern den Arbeitsmarkt zu modernisieren.

So etwas geht in Italien nicht. In diesem Land gibt es niemanden, der ein produktives Gespräch aller Entscheidungsgruppen zustande brächte. Dazu müssten diese sich zuerst selbst reformieren. Italien darf wählen, gewiss. Die zur Wahl stehenden Strukturen aber sind die alten. Montis eigener Parteiversuch kommt nicht vom Fleck, und in der Protestwahl liegt kein Heil: die kometenhaft aufgestiegene „Fünf-Sterne-Bewegung“ des Radikalpopulisten Beppe Grillo ist auf Fundamentalopposition getrimmt. Das kann dieses Land derzeit am allerwenigsten brauchen.