Als die Mauer am 9. November 1989 fiel, gab es überschäumende Freude über die offenen Grenzen, aber auch Angst im Osten vor einer ungewissen Zukunft. Wie sieht es heute aus? Was hat sich geändert?

Berlin - Die historische Sensation vom 9. November 1989 ist jetzt schon 28 Jahre her. Nun kocht die Ossi-Wessi-Debatte, die viele längst überwunden glaubten, erneut hoch. Einen Stein ins Wasser geworfen hat dabei der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger.

 

Er sagt, die westdeutschen Eliten dominierten bis heute den Osten. Das werde als „kultureller Kolonialismus“ erlebt, so der einstige DDR-Bürgerrechtler in der „Berliner Zeitung“. Er bezieht sich auf eine Studie und sieht eine wachsende Entfremdung von staatlichen Institutionen und Demokratie.

Ossi-Wessi-Vergleich ist zum Klischee verkommen

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur widerspricht vehement. Die Unterscheidung in Ossi und Wessi sei zum Klischee verkommen, das aber gern fürs Eliten-Bashing benutzt werde, erregt sich Geschäftsführerin Anna Kaminsky. Damit werde eine Debatte von gestern angeheizt, die heutige Ressentiments im Osten nur verstärke.

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„Die Herkunft wird vor allem dann zum Problem stilisiert, wenn Erwartungen enttäuscht werden und die allgemeine Unzufriedenheit zunimmt“, sagt Kaminsky der Deutschen Presse-Agentur. Wie widersprüchlich das sei, habe die Bundestagswahl gezeigt. Die AfD wurde im Osten zweitstärkste politische Kraft - eine Partei, die mit zwei westdeutschen Spitzenkandidaten antrat, wie Kaminsky sagt.

Laut Statistischem Bundesamt lebten Ende 2015 von knapp 82,2 Millionen Bürgern 16,1 Millionen in den ostdeutschen Ländern und Berlin. Könnte man da mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall nicht auch zu dem Schluss kommen, das ist eben eine Minderheit - warum also weiter extra Aufmerksamkeit und Zuwendung?

Ostdeutsche fühlen sich weiter benachteiligt

Es gebe noch systematische Unterschiede zu Westdeutschland, so Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer jüngsten Videobotschaft. Deshalb werde es auch künftig „eine spezifische Förderung“ für die neuen Bundesländer geben, verspricht die CDU-Politikerin schon vor Bildung einer neuen Regierung. Die Besonderheiten der Ost-Länder müsse man weiter im Auge haben - etwa in puncto Steuereinnahmen.

Obwohl der Lebensstandard seit 1989 gestiegen, die Arbeitslosigkeit wieder gesunken ist und Kommunen herausgeputzt wurden, fühlen sich etliche Ostdeutsche weiter benachteiligt. Sie verweisen auf niedrigere Renten, sterbende Dörfer, abgewanderte Fachkräfte.

Die Deutschen seien nicht neugierig genug aufeinander, findet ein CDU-Politiker aus Niedersachsen, der 1990 nach Magdeburg kam. Rainer Robra ist dort Chef der Staatskanzlei und sagt in einem Zeitungsinterview, dass viele West- und Ostdeutsche im jeweils eigenen Milieu verharrten. Es kränke ihn, „dass der durchschnittliche Westdeutsche so wenig Interesse für uns hat“.

Niemand im Westen habe zugehört

Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) nimmt kein Blatt vor den Mund: Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Nachwendezeit, den Schicksalsumbrüchen und Hoffnungen der Ostdeutschen gebe es kaum noch. „Tat man es dennoch, war man sofort „Jammer-Ossi“ oder DDR-Nostalgiker“, sagt sie.

In Westdeutschland gebliebene Westdeutsche hätten keinen Schimmer über die Umbrüche im Osten, befindet Köpping. Niemand habe Probleme wirklich ernst genommen. „Niemand hat zugehört. Das ist bei vielen Menschen eine Kränkung, die bis heute wirkt.“

Die innere Einheit der Deutschen kommt seit 2011 nach einer Forsa-Umfrage vom September nur in Mini-Schritten voran. Nur jeder zweite denkt demnach, dass die Menschen zusammengewachsen sind. Im Osten meinen 55 Prozent, dass das Trennende überwiege, im Westen sind es 45 Prozent. Bei den 14 bis 21 Jahre alten Bundesbürgern bejahen 65 Prozent, dass die Deutschen ein Volk geworden seien.

Benachteiligung als Nährboden für Rechtsextreme

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, findet das Ost-West-Denken wenig hilfreich. Unterschiedliche Erfahrungen sollten jedoch respektiert werden. „Es fällt aber vielen noch immer schwer, sich im vereinten Deutschland mit dem gemeinsam Geschaffenen zu identifizieren. Daran sollten wir arbeiten und nicht immer wieder reflexartig die Herkunft als Schablone benutzen“, sagt der frühere DDR-Bürgerrechtler der dpa.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht indes die Gefahr, dass die gefühlte und reale Benachteiligung der Ostdeutschen Nährboden für rechtsextreme Einstellungen sein könnte. Die AfD mache Wut alltagstauglich und kehre sie gegen Minderheiten, warnt er.