Vor 20 Jahren sind bei einem Brand in der Geißstraße 7 sieben Menschen umgekommen, darunter zwei Kinder. In der Folge entstand die Stiftung Geißstraße 7, die sich für die Völkerverständigung einsetzt. Jetzt ist das Haus frisch saniert.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Stuttgart - Es ist der letzte Auftrag, der noch zu vergeben ist. Michael Kienzle verhandelt mit einem Gebäudereiniger. „Ich erwarte ein günstiges Angebot für eine gemeinnützige Stiftung“, sagt er und bekommt als Antwort, dass die Stiftung Geißstraße gemeinnützig sein möge, der Gebäudereiniger aber nicht. Wenn die Fassade geputzt ist, wird das Gerüst abgebaut, das den Bau an der Geißstraße 7 seit dem Herbst des vergangenen Jahres umhüllt, pünktlich zu einem Anlass, für den das Wort Jubiläum sich verbietet, weil es dem Jubel verwandt ist.

 

Treffend formuliert, ist der Anlass ein zwanzigster Jahrestag. Jungen Stuttgartern dürfte die Adresse am Hans-im-Glück-Brunnen wegen des Lokals Deli ein Begriff sein, das sich im Erdgeschoss eingemietet hat. Ältere dürften sich erinnern, dass das Haus steinerner Zeuge eines Verbrechens ist. Am 16. März 1994 starben in dessen Räumen sieben Menschen im Feuer, darunter zwei Kinder. Das Feuer hatte ein 26-Jähriger gelegt. Sein Motiv blieb unklar, aber im Haus lebten damals ausschließlich Ausländer. Der Täter verbüßte 15 Jahre Haft. Zwei Jahre nach dem Brand wurde die Stiftung gegründet, deren Vorstand Kienzle ist. Ziel ist die Völkerverständigung in der Gegenwart und das Erinnern an Verfolgung und Gräueltaten in der Vergangenheit.

Bereits direkt nach dem Brand zum ersten Mal saniert

Damals wurde das Haus mit Versicherungsgeld saniert, aber die zwei Jahrzehnte „hat man ihm schon angemerkt“, sagt Kienzle. Empfindlichster Punkt auf der Liste war, dass die aktuellen Brandschutzvorschriften nicht mehr erfüllt waren. Der Saal ist Ort von Veranstaltungen. Die sieben Wohnungen sind allesamt vermietet. Die Heizung musste erneuert, 70 Fenster mussten genauso abgedichtet werden wie das Dach. Die Fassadenfarbe wurde wieder ihrem ursprünglichen Ton angenähert. Statt weißlich ist sie nun sandfarben. Die restliche Arbeit war der Schönheit geschuldet – ein Schild mahnt zur Vorsicht, weil das Treppengeländer frisch lackiert ist. 405 000 Euro hat die Sanierung gekostet. 162 000 davon schießt die Stadt zu. Der Rest verteilt sich auf Spenden und ein Darlehen, das abgestottert werden muss. „Wir sind eine arme Stiftung“, sagt Kienzle. Grundstock aller Finanzierung „ist die Kunst, freundlich mit den Leuten zu reden“. Im aktuellen Fall beispielsweise mit Denkmalschützern. Zu deren Aufgaben gehört das Wachen über den Jugendstilbau. Ihrer Weisung gemäß darf nicht einmal ein Dübel in der Zimmerdecke versenkt werden. Aber anders als mancher Hausbesitzer hat Kienzle die Gespräche mit den Hütern architektonischer Vergangenheit nie als Schikane empfunden, sondern „als wirklich hilfreiche Beratung“.

Dabei ist das Quartier rund um den Brunnen nicht so alt, wie es scheint. Es ist ein Beispiel für eine Stadtsanierung vergangener Tage, eine der freundlicheren Art. Der Bankier Eduard Pfeiffer begann dort eines seiner Projekte „zum Wohle der arbeitenden Klasse“. Er kaufte Anfang des 20. Jahrhunderts das gesamte damalige Geißviertel, ließ die kleinräumigen und maroden Behausungen abreißen und neu bauen. So entstand „der schönste Ort in ganz Stuttgart“, findet Kienzle heute.

Steinfiguren stehen teilweise noch beim Restaurator

Das Viertel sollte nicht modern werden, sondern im Wortsinn märchenhaft. Daran erinnert der Name des Brunnens, daran erinnern Märchenfiguren an und auf den Häusern, die architektonisch in unterschiedlichstem Stil entworfen wurden: Von der Renaissance des 15. bis zum Neoklassizismus des 20. Jahrhunderts.

Steinerne Zeugen erinnern auch auf dem Dach des Hauses Geißstraße 7 an Pfeiffers Absicht – ein Froschkönig, ein Storchennest, zwei Geißböcke. Letztere stehen derzeit allerdings noch beim Restaurator. Ihrer Substanz hatte nicht nur die Verwitterung zugesetzt. Sie waren auch Zeugnis einer jüngeren und unerfreulichen Vergangenheit. Im Stein steckten Patronen aus einem Beschuss im Zweiten Weltkrieg.