Das Scheitern der „Jamaika“-Gespräche lastet der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) allein den Liberalen an, nicht seiner Bundeskanzlerin. Er fordert dennoch neue Köpfe in der Union für eine große Koalition – und sagt erstaunliche Dinge über die Grünen.

Berlin - Sonntag und Montag reden die CDU-Spitzengremien über die aktuell schwierige Lage. Mit dabei sein wird auch Ministerpräsident Daniel Günther.

 
Herr Günther, scheitert mit dem Scheitern im Bund auch „ Jamaika“ in Kiel?
Wir Schleswig-Holsteiner, die an den Gesprächen beteiligt waren und die schlechte Stimmung miterlebten, haben uns in die Hand versprochen, dass das keine Auswirkungen haben wird. Unser „Jamaika“ wird definitiv Bestand haben. Mein Verhältnis zu FDP-Vize Wolfgang Kubicki ist völlig intakt.
Warum hat es dann im Bund nicht geklappt?
Am Ende wollten nicht alle dieses Bündnis. Vertrauen ist nicht im Maße gewachsen ist, wie es hätte sein können. Ich lasse das aber nicht als Entschuldigung gelten. Nach meiner Überzeugung hätten die Verhandlungen nicht abgebrochen werden müssen.
Sie waren in gewisser Weise „Jamaika-Berater“ von Kanzlerin Merkel. Haben Sie sie falsch beraten, dass es doch nicht ging?
Dass die FDP den Stecker gezogen hat, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich war völlig perplex, als die um halb zwölf rausgegangen sind. Ich habe ihre Positionen die ganze Zeit als Drohgebärde wahrgenommen, als harte Verhandlungsposition, um möglichst viel herauszuholen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass die Liberalen das wirklich durchziehen. Eine Einigung wäre möglich gewesen, wir waren nahe dran.
Jahrzehntelang hieß es, die bürgerlichen Parteien CDU und FDP seien natürliche Partner. Ist das Geschichte? Ist die kulturelle Entfremdung heute größer als gedacht?
Inhaltlich sind CDU und FDP immer noch viel näher beieinander als CDU und Grüne. Trotz ihrer manchmal nervigen Art hat aber ihre Art und Weise, politische Gespräche zu führen, die Verlässlichkeit in den Verhandlungen und die fundierte Vorbereitung viele in der Union von der Vorstellung begeistert, mit den Grünen zu regieren.
Die Liberalen sagen, „Mutti“ hätte ihr grünes Kind viel, viel lieber gehabt.
Diese Gefahr bestand – aus einem nachvollziehbaren Grund. Wir wollten den Grünen nicht das Gefühl geben, ein Fremdkörper zu sein, weil Union und FDP mit ihrer inhaltlichen Nähe die Dinge unter sich ausmachen. Aus den Verhandlungen kann ich nur sagen, dass es Angela Merkel war, die diese Tendenz aufmerksam registriert und ihr entgegengewirkt hat. Sie hat in unseren internen Runden immer deutlich darauf hingewiesen, dass wir uns um die Liberalen kümmern und ihnen sichtbare Erfolge bescheren müssen. Wenn ihr jetzt von der FDP das Gegenteil vorgeworfen wird, ist das völlig unberechtigt.
Im Raum steht daher der Vorwurf, die FDP wolle sich mit vermeintlicher Konsequenz als Protestpartei etablieren, mit der demokratisch übliche, aber immer öfter als „faul“ angesehene Kompromisse nicht zu machen sind.
Ich hoffe, die FDP entwickelt sich nicht in eine populistische Richtung. Ich sehe mit Sorge eine gewisse Verschiebung in der Parteilandschaft dahingehend, dass sich die staatspolitische Verantwortung nach links verschiebt. Der Wille zu regieren war jetzt bei den Grünen spürbar größer, war bei der CDU auch deutlich da, bei der CSU am Ende zum Glück auch wieder. Aber wir müssen aufpassen, dass sich der bürgerlich-konservative Teil unserer Gesellschaft nicht nur in einer Oppositionsrolle sieht. Das halte ich für wahnsinnig gefährlich. Gerade das Kernklientel der FDP, die Unternehmer, sind alles andere als begeistert, dass die FDP das derzeit nicht so sieht.
Lassen Sie uns nach vorne schauen und über die nun mögliche Wiederauflage der großen Koalition reden. Würde sie Union wie SPD nicht noch weiter schwächen?
Ich habe nach der Wahl die Haltung der SPD durchaus verstanden, in die Opposition gehen zu wollen. Ich habe es nur für falsch gehalten, sich so kategorisch festzulegen. Das macht die Lage nun natürlich schwierig. Die CSU und einige in der CDU, die immer darüber gejammert haben, wie viele Kompromisse mit den Grünen zu machen gewesen wären, werden sich jetzt darüber wundern, dass es mit der SPD bei anderen Punkten ebenfalls kompliziert wird.
Wie weit geht die Union für die SPD?
Die SPD ist ja nicht stärker als Grüne und FDP zusammen. Insofern muss sich die Union nicht weiter bewegen als gegenüber den möglichen Jamaika-Partnern. Aber wir müssen dieses Bündnis mit der SPD hinbekommen! Wenn die Antwort der Volksparteien an die Wähler ist, dass wir nicht zusammenkommen und den Auftrag zurück an die Wähler geben, wäre das ein absolutes Armutszeugnis. Das könnte uns in einer Weise schaden, wie sich das vielleicht noch niemand ausmalen kann.
Müsste sich nicht wenigstens irgendetwas ändern? Neue Inhalte, neues Personal?
Ja. Die Union braucht neue Köpfe. Der neue Koalitionsvertrag darf auch kein Einfach-Weiter-So-Vertrag werden. In bestimmten Fragen müssen auch inhaltliche Veränderungen sichtbar werden. Die würden noch bemerkbarer, wenn man gleichzeitig auch neue Köpfe präsentiert. Die Union ist gut beraten, dazu einen eigenen Beitrag zu leisten.
Wie bewerten Sie da Merkels schnelle Ankündigung, weiter zur Verfügung zu stehen – auch im Fall von Neuwahlen?
Ich habe mich über diese Ankündigung sehr gefreut. Sie war notwendig, denn Frau Merkel hatte sich ja beim vergangenen Mal die Entscheidung, für eine weitere Legislaturperiode anzutreten, nicht leicht gemacht. Deshalb kam ihr Signal zum genau richtigen Zeitpunkt. Es war wichtig für die Union, denn ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich mir gegenwärtig eine Situation ohne Angela Merkel nicht vorstellen kann.
Die Erneuerung soll sich also auf den Ebenen darunter für die Zeit nach Merkel abspielen?
Genau. Natürlich muss sich die Partei darüber Gedanken machen, was in der Nach-Merkel-Zeit passieren soll. Das haben jedenfalls Merkels Vorgänger nicht so gut hinbekommen. Deshalb müssen wir nun auch Personen präsentieren, die über die Merkels Zeit hinaus Politik gestalten werden.
Wen denn zum Beispiel?
Ganz viele.
Sich selbst auch? Sehen Sie für sich einen Platz in der Bundespolitik?
Ich bin in der Führung der Union mit dabei. Das ist mir wichtig. Aber mein Standort ist Kiel. Ich bin dort als Ministerpräsident gerade mal gewählt. Für mich gilt unmissverständlich: Ich regiere dieses Land für die Amtszeit von fünf Jahren und trete dann auch wieder für die nächste Wahlperiode an. Das ist unverrückbar.