Ein Staatsanwalt sollte eigentlich einer von den Guten sein. Doch in James Hankins’ „Brothers and Bones“ lernen wir einen Spitzenjuristen kennen, der eigene Vorstellungen von der Rechtspflege hat – Mafiakontakte inklusive.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - „Boston legal“ heißt eine munter-sarkastische Fernsehserie, in der William „Captain Kirk“ Shatner einen Anwalt mit recht eigenen Vorstellungen vom Legalitätsprinzip spielt. Und auch unser Buch hier spielt in den Justizkreisen der Ostküstenmetropole. Wobei in James Hankins’ „Brothers and Bones – Blutige Lügen“ das Recht noch mehr gebeugt, ignoriert und mit den Füßen getreten wird als in der TV-Serie. Mehr noch: das Übel geht von einem Staatsanwalt aus, der zwar im angelsächsischen System eine andere Rolle spielt als etwa in Deutschland, der aber bei aller Parteilichkeit doch gewisse Normen beachten sollte.

 

Ein Staatsanwalt geht über Leichen

U.S Attorney Andrew Lippincott, der oberste Bundesanwalt von Massachusetts, Chef und Schwiegervater in spe unseres Helden Charlie Beckham, ist ein schlimmer Finger. Ein hoch geachtetes Mitglied der Bostoner Gesellschaft, ein scharfer und erfolgreicher Ankläger – der aber mehr Dreck am Stecken hat als zehn gewöhnliche Straßenkriminelle zusammen. Und der sein Über-Leichen-Gehen – es kann durchaus auch das leibliche Kind betreffen– auch noch als moralisch wertvoll und gesellschaftlich notwendig verbrämt. Damit ist schon viel verraten, gewiss, aber dieser Zynismus macht einen der Reize dieses Buches aus, das ansonsten mit einer anständigen Portion Action, Spannung und Verschwörungsszenarien aufwartet.

Hauptperson ist, wie gesagt, der Staatsanwalt Charlie Beckham, der diesen Beruf ergriff, weil er die Hintergründe aufklären will, die 13 Jahre zuvor zum spurlosen Verschwinden seines älteren Bruders geführt haben. Jahrelang tappt Beckham im Dunkeln, der Verfolger fühlt sich selbst verfolgt und ist deshalb heimlich sogar in Therapie. Doch an dem Tag, an dem sein wichtigster Prozess als Ankläger beginnen soll, spricht ihn in der U-Bahn ein Penner an, der offensichtlich etwas von dem vermissten Bruder weiß.

Räuberpistole mit hohem Unterhaltungswert

Beckham kommt völlig aus der Bahn, er versiebt den Prozessauftakt und macht sich auf die Suche nach dem Obdachlosen. Als er den Mann, einen ehemaligen Elitesoldaten, endlich findet, beginnen mörderische Verwicklungen im Mafiamilieu, an deren Ende der Held fast niemandem mehr trauen kann. Es ist schon eine ziemliche Räuberpistole, die James Hankins sich da ausgedacht hat – aber eine mit hohem Unterhaltungswert, die deutlich aus der gängigen Thriller-Produktion herausragt.

James Hankins: „Brothers and Bones – Blutige Lügen.“ Roman. Aus dem Englischen von Alice Jakubeit. Piper Verlag, München 2015. 512 Seiten, 9,99 Euro. Auch als E-Book, 8,99 Euro.