Eine junge Frau muss nach dem Tod ihres Mannes einen Job als Kellnerin annehmen. Noir-Meister James M. Cain erzählt in diesem Roman aus dem Nachlass von Anmache, Kalkül und Mord.

Stuttgart - Bring zwei Menschen zusammen – und Du hast einen Anschein von Anstand. Bring drei Menschen zusammen – und Du hast die Brutstätte eines Verbrechens. Nach diesem Motto hat James M. Cain einige der besten Dreiecksgeschichten der Kriminalliteratur geschrieben, „The Postman Always Rings Twice – Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (1934) und „Double Indemnity – Doppelte Abfindung“ (1936), beide Romane wurden auch erfolgreich verfilmt.

 

Die Ehe funktioniert in Cains Romanen nur als matter bürgerlicher Sichtschutz vor einer Szenerie von Missmut und Konflikten, nicht als Garant von Geborgenheit. Sexuelle Anziehungskraft funktioniert bei ihm dagegen als unaufhaltbarer Zermalmer von Vernunft und Moral.

Dunkelheit ins Leben bringen

Cain kam aus gutem Hause, aus einer gebildeten irisch-katholischen Familie in Maryland, wurde Journalist und einer der Gründerväter der Noir-Literatur. Sein Kollege und Konkurrent Raymond Chandler erzählte mit Romanen um den ruppig redenden, aber integer bleibenden Privatdetektiv Philip Marlowe davon, wie einer ein Licht, und sei es ein noch so kleines, durch die Dunkelheit trug. Cain erzählte von Menschen, die in einer wilden Mixtur aus sinnlichen Begierden und ökonomischer Vorteilssuche immer tiefere Dunkelheit ins eigenen Leben und das anderer brachten.

James Mallahan Cain (1892-1977) war dann allerdings bereits zu Lebzeiten Literaturgeschichte, will heißen, am Markt abgemeldet. Aber er schrieb bis an sein Ende weiter, und so lag denn in seinem Nachlass lange unbeachtet das Manuskript eines Romans, das der Hard-Case-Crime-Herausgeber Charles Ardai geborgen und 2012 veröffentlicht hat: „The Cocktail Waitress“. In der deutschen Übersetzung von Simone Salitter und Gunter Blank heißt der Roman „Abserviert“, was insofern schade ist, als es verschleiert, dass auch dieser Roman in die Reihe von Cains Frauenporträts gehört – er variiert sogar einige Motive aus „Mildred Pierce“, der in Deutschland leider nie so populär wurde wie die eingangs genannten Titel.

Eine Witwe in Wallung

Die Ich-Erzählerin Joan Medford hat gerade ihren Mann beerdigt, was einerseits ein Glück für sie ist, weil der Typ ein gewalttätiger Säufer war, der Joan und ihren gemeinsamen Sohn geschunden hat. Andererseits ist es eine Katastrophe, weil der Rohling nur Schulden zurücklässt. Joan muss ihr Kind bei ihrer Schwägerin in Obhut geben, die sich sofort vornimmt, den Jungen vor der angeblich untauglichen Mutter zu retten. Aber so kann Joan wenigstens einen Job als Cocktail-Kellnerin annehmen.

Im kurzen Höschen und mit aufgeknöpfter Bluse lernt die Neue schnell zwei männliche Gäste besser kennen: einen mittellosen jungen Frechdachs, der ihr Blut in Wallung bringt, auch wenn sie ihn für seine Unverschämtheiten ohrfeigen und beschimpfen muss, und einen verwitweten, begüterten Geschäftsmann, der sie körperlich abstößt und als Charakter kalt lässt, aber ökonomische Rettung verspricht. Das klassische Cain-Dreieck ist damit aufgebaut.

Wahrheit oder Lüge?

Ob „Abserviert“ allerdings eine Geschichte von Verbrechensplanung und -durchführung ist, hängt vom Maß des Leserzweifels ab. Man kann glauben, was Joan erzählt. Dann erlebt man den nicht immer konsequent geführten, von Schwächen und Vorteilsmanövrieren durchsetzten Kampf einer Frau gegen Spießermoral, Rollenzwänge, Übergriffe und Verarmung.

Man kann Joan aber auch für eine Lügnerin halten, die an uns jene Version der Ereignisse erprobt, die sie Richtern und Geschworenen auftischen würde. Dann hätten wir eine mehrfache Mörderin vor uns. Ein junger Polizist im Buch hängt letzterer Interpretation an, was ihn entweder zum Ermittler mit Instinkt oder wie so manchen Hitchcock-Bullen zum gefährlichen Agenten einer schikanös wahrheitsblinden Justiz macht.

Albtraumland des Noir

Cains Roman ist Mitte der siebziger Jahre entstanden, spielt Anfang der Sechziger und liest sich meist wie ein Text aus den Vierzigern oder frühen Fünfzigern. Das wirkt sich hier aber erstaunlicherweise nicht als Kardinalschwäche aus, im Sinne von: ein altbackener, verstaubter Text ohne Gespür für gesellschaftliche Veränderungen, Sprachwandel und Bezugssystemveränderungen.

„Abserviert“ scheint der Wirklichkeit auf ganz andere Weise entrückt, nämlich ins Alptraumland des Noir verschoben, in dem bestimmte Unterströmungen des Alltags an die Oberfläche gedrungen sind. Cain schafft ein zeitloses Bild von Zwängen und Entzugsversuchen: Joans Leben wird durch ihre Zahlungsfähigkeit bestimmt, durch die Meinung der anderen, durch ihre auch als Fluch begreifbare Fähigkeit, Situationen von der Vernunft- auf die Hormonebene zu holen. Sie macht Männer an, Männer machen sie an. Das sorgt für soziale Abkürzungen, die aber halsbrecherische Steilfahrten werden können.

Verkommenheit und Sex

In seinem Nachwort schreibt Charles Ardai über James M. Cain: „Er machte Themen zum Gegenstand der populären Literatur, die man in einer gesetzten Konversation damals (und zum Teil bis heute) nicht ansprach, Ehebruch, Inzest, Verkommenheit und Sex in allen Formen und Farben.“ Das stimmt, aber man könnte auch sagen: Cain hat über Menschen geschrieben, die versuchen, sich aus Tristesse ins Glück zu kämpfen. Was dann keine Geschichten des Glücks wurden.

James M. Cain: Abserviert (The Cocktail Waitress).Walde und Grafe bei Metrolit, Berlin. Roman. Asu dem Englischen von Simone Salitter und Gunter Blank. 351 Seiten, 22,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.