Dr. John und Jamie Cullum haben bei den Jazz-Open auf dem Stuttgarter Schlossplatz gespielt. Zwei spannende Shows - und sogar das Wetter machte bei dem perfekten Timing mit.

Stuttgart - So funktioniert Festival-Folklore für die Ewigkeit! Am Samstag hatten sich die Veranstalter der Jazz-Open aufgrund der Unwetterwarnungen kurzfristig entschlossen, die Sonntagskonzerte auf dem Schlossplatz um eine Stunde vorzuverlegen. Das, so sollte sich erweisen, war nicht nur eine kluge Entscheidung, sondern sie bescherte dem Festival im Jahr des großen Gelingens Bilder von einer Symbolkraft, die man keinem Regisseur der Welt durchgehen ließe. Nachdem der Konzertabend nur durch einen Schauer beim Konzert von Dr. John kurz gestört worden war, zeigte sich kurz vor dem Finale furioso von Jamie Cullum im Licht des Sonnenuntergangs ein prächtiger Regenbogen direkt hinter der Bühne über dem Schloss. Als es dann etwas stärker zu tröpfeln begann, setzte Jamie Cullum solo zu einem launigen Medley aus „I´m Singin´ in the Rain“ und „Umbrella“ an, was vielleicht etwas zu keck war. Unmittelbar nach Konzertschluss, nicht besser zu timen, setzte dann wolkenbruchartiger Regen ein. Diese Dramaturgie war gewissermaßen das Sahnehäubchen auf einem begeisternd stimmigen Konzertabend, der für Jung und Alt auf das Schönste Geschichte und Gegenwart der Popmusik konfrontierte und funkensprühenden Eklektizismus bescherte.

 

Hier die funkig-psychedelische Melange eines Dr. John, die die Musiken des Mississippi-Deltas mit afro-karibischen Rhythmen zu einem erdigen Gumbo nach ganz eigener und unverwechselbarer Rezeptur mischt. Dr. John, the Night Tripper, bürgerlich: Malcolm »Mac« Rebenack, ist seit Jahrzehnten im Geschäft, manchmal Geheimtipp unter Kennern, dann unvermittelt mit Mainstreamerfolgen gesegnet, wie mit den Jazz-Standards von „In a Sentimental Mood“ und der zornig-politischen und „Grammy“-prämierten New Orleans-Hommage „City That Care Forgot“. Dr. John, der zuletzt 2012 bei den Jazz-Open zu Gast war, ist nicht mehr ganz so extravagant wie in jungen Jahren, aber er ist eine Persönlichkeit, die für Roots-Musik steht und souverän, mal am Klavier, mal an der Gitarre, über eigenes und fremdes Songmaterial aus über 40 Jahren verfügen kann. Das reicht vom ikonischen „Iko Iko“ über seinen größten Hit „Right Place, Wrong Time“ bis hin zum programmatischen „Le the Good Times Roll“ – dargeboten mit dem Charme eines immer etwas nachlässigen Genies. Ihm hätte man gerne noch ein halbes Stündchen länger zugehört, aber der straffe Zeitplan am frühen Sonntagabend erlaubte es leider nicht.

Was für ein Schelm

Der Brite Jamie Cullum, im direkten Vergleich noch immer ein Jungspund, zeigte sich jedenfalls so beeindruckt von der Tatsache, mit einem seiner Helden die Bühne geteilt zu haben, dass er dies nicht nur wiederholt in Worte fasste, sondern auch noch mit einem New Orleans-Song überraschte, dargeboten in schönstem, breitesten, vernuschelsten „Bayou“-Idiom. Was für ein Schelm! Als wir Cullum zuletzt auf einer Bühne begegneten, 2008 im Theaterhaus, waren wir vom Enthusiasmus seiner Performance schwer beeindruckt. Seine Unbekümmertheit ließ ihn seinerzeit viel jünger als die 27 Jahre wirken, die er damals zählte. Und auch 2014 wirkt der mittlerweile 34jährige aus Rochford noch immer jünger als 27, zumal seine Songs immer noch gerne die Nöte thematisieren, die es mit sich bringt, erwachsen zu werden. Ansonsten hat Cullum in den vergangenen Jahre eine kaum überraschende Entwicklung vom jugendlichen Jazz-Entertainer ohne Scheuklappen zum ernsthaften Singer/Songwriter und erfolgreichsten Jazz-Sänger Großbritanniens absolviert, der sein Publikum mit einer erstaunlich vielseitigen Band spektakulär konzentriert zu massieren versteht.

Hier stimmt alles: Perfekt sein Gespür für die Dramaturgie eines Konzertabends, perfekt seine Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie, perfekt auch die Art und Weise, sich geschmackvoll durch die Musikgeschichte hindurch zu inszenieren, indem Popsongs durch scheinbar jedem Einfall folgenden, mäandernde Improvisationen zu Medleys werden. Brillant der donnernd perkussive Auftakt mit „The Same Things“, fesselnd die dunkel- extravagante Dub-Version von „Love for Sale“, bereits bekannt die Verbeugungen von Jimi Hendrix und Jackson Browne, neu die vor Justin Timberlake und Coldplay. Wenn er offensiv poppig ist, klingt er immer ein wenig nach dem jungen Billy Joel. Bei Jamie Cullum scheint alles möglich, wenn es dem offensiven, erschöpfenden Entertainment dient: war das gerade ein „Get Lucky“ Zitat? „Happy?“ Schon wieder Rihanna?

Elstase vor dem Regen

Dazwischen ruhigere Töne, ein paar Anekdoten übers Erwachsenwerden in der Provinz, gerne mal schlüpfrig an der Grenze zur Zote, aber, mein Gott, ist er, der einmal der Hengst seiner Schule gewesen sein will, nicht süß, wenn er sich ausmalt, wie es wohl ist, wenn er einmal berühmt sein wird? Ein Star zum Anfassen, dem man aufgrund seines Charisma selbst die Routinen als Enthusiasmus, als Ausdruck einer Laune des Moments abnimmt. Da wird der Flügel zum Perkussionsinstrument oder auch zum Klettergerät, da wird im Bühnenhintergrund das Becken mit technoider Ekstase bearbeitet. Mühelos versetzten Cullum und seine versierten Musiker, die wir ihr Chef vielseitig zwischen Pop und Swing, zwischen Funk, Dub Step und HipHop zu switchen verstehen, mit einer perfekten Show den Innenhof des Schlosses in eine Großraum-Disco. „Don´t Stop the Music“, lautete die Hoffnung der Tanzenden, Singenden, Hüpfenden, Klatschenden, Staunenden. „Everybody Loves the Sunshine“, klar, aber dann war Schluss und der große Regen setzte ein.