Esperanza Spalding, Dr. John und Monty Alexander haben die Jazz-Open im Mercedesmuseum in Stuttgart beendet. Beim Auftritt von Dr. John lag dabei ein Totenschädel auf dem Flügel – als Verweis auf die Voodoo-Kultur des Mississippideltas.

Stuttgart - I am so lonesome I could cry“, seufzt der Jazzsänger Kurt Elling zu den Noten von Hank Williams. Doch so ausgesprochen einsam, wie im Titel behauptet, ist er an diesem Abend gar nicht. Es kommen immer mehr Besucher in das Rund vor dem Mercedesmuseum, um sich einzustimmen auf das Konzert eines Großen der Rockmusik: Dr. John alias Mac Rebennack ist mit seiner Band The Lower 911 als Höhepunkt des Abends angesagt. Auch graue Wolken und regenverhangene Himmel können Kenner nicht abhalten, dem bald 72-jährigen Prinzipal bei einer seiner sehr seltenen Europashows beizuwohnen.

 

Der Kauz ist komprimierte Rockgeschichte: 1968 ein erstes Soloalbum, danach mit allen Größen und jedem Rockriesen zusammengearbeitet, Grammys, Anerkennungen, Respekt – aber immer ist er ein Original aus New Orleans geblieben. „They call me Dr. John“, singt er jetzt am Flügel, während seine Band Lower 911 wie ein tiefergelegter Sportwagen röhrt. Aus Malcolm Mac Rebennack wurde bald Dr. John mit dieser krächzenden Stimme, die manchmal in einen beschwörenden Ton zu fallen scheint und ganz kurz auch sanfte Färbungen annimmt, die Vokale geradezu zu speien und den Groove um sich herum aufzunehmen scheint.

Verweis auf Voodoo

Vor ihm auf dem Flügel liegt ein Totenschädel, als Verweis auf Voodoo, dessen Kultpraktiken den Mann vom Mississippidelta stets umgetrieben haben und der dieses Ausfransen ins Übernatürliche signalisiert, das sein Werk und seine Person umweht. Hier interessant, in New Orleans normal. Sie spielen anfangs alte Titel, sie kommen in Fahrt, und sie laufen schließlich zu einer gewaltigen Spielfreude auf. Der bärtige Doktor knarzt seine Titel, die sechsköpfige Band variiert ihre Muster, mal schlampig, mal superpräzise – und stets hat sie viel sichtbaren Spaß dabei. Die Songs sind festgelegt und in Bewegung, sie fallen mal augenzwinkernd in einen Louis-Armstrong-Swing, und sie werden bläsergestützt zu strammem Funk.

Jon Cleary ist am zweiten Keyboard mit dabei, ein Tastenrecke aus New Orleans, der sein Spiel gelegentlich auch in Form von heißen Soli hineingibt in diesen scharf gewürzten musikalischen Gumbo, jenen berühmten New-Orleans-Eintopf. Der Rhythmus hüpft, zuckt, federt, springt und quietscht wie ein Sumpf in Louisiana, auf dem seine Stimme tanzt. Der Regen ist vergessen, als gegen Ende des Konzerts die Titel „Locked Down“ und „Revolution“ vom neuen Album kommen: Einprägsame Meilensteine seines Schaffens könnten sie werden. Der alte Mann mit der dunklen Sonnenbrille, er schlurft hinaus und wieder herein zur Zugabe. Er hat uns zu sich herangezogen, hineingezogen, in sein Schaffen, live, hier und jetzt.

Verdächtiger Hype

Als die Bassistin und Sängerin Esperanza Spalding vor drei, vier Jahren in Stuttgart gastierte – im Bix, im Theaterhaus – , eilte ihr und ihren Talenten schon ein verdächtiger Hype voraus. Tatsächlich enttäuschten ihre Konzerte damals etwas, weil die blutjunge Musikerin offenbar in jedem Moment zeigen wollte, was alles in ihr steckt. Verschwenderisch unökonomisch verschleuderte sie ihre Ideen, überfrachtete ihre Songs mit Muskelspiel und wirkte wie eine aufdringliche Streberin. Mittlerweile hat sich ihre Karriere auf höchstem Niveau eingependelt, die wichtigen Auszeichnungen und Grammys sind einkassiert – und Esperanza Spalding hat die Zeit genutzt, um sich neu zu definieren: als Teamplayerin im Zentrum einer sehr entschlossenen Band.

So präsentierte sie in der Arena beim Mercedesmuseum ihr aktuelles Programm „Radio Music Society“, das tief in den siebziger Jahren wurzelt und Jazz, Funk, R ’n’ B und Pop auf eine äußerst spannende, sehr assoziative und offene Weise nicht neu, aber originell zusammenmischt. Wer das hyperaktive Supertalent sehen wollte, wurde diesmal vielleicht sogar enttäuscht, weil Spalding mit großer Gelassenheit und Souveränität entschieden andere Wege geht. Vielleicht hat diese Entwicklung mit ihrer Lehrtätigkeit zu tun, wenn Spalding jetzt in der Manier einer Erykah Badu oder einer Me’shell Ndegéocello mit den Mitteln ihrer Musik politische oder auch spirituelle Bewusstseinsbildung betreibt und der Tradierung afroamerikanischer Kultur nachspürt. Sie hat ihren Blick geweitet und sich aus dem Jazz-Hochleistungs-Trainingslager hinausgewagt und der Welt zugewandt. Populärer mag ihre aktuelle Musik jetzt mitunter klingen – „Black Gold“ hat gar das Zeug zu einem Radiohit – , aber letztlich ist sie durch ihre stark kommunikative Form komplexer geworden.

Mit Free Jazz gefremdelt

Ob Monty Alexander diese künstlerische Entwicklung gefallen hätte? Wahrscheinlich schon. Am Samstagabend, als dem 68-jährigen Pianisten in der Musikhochschule die diesjährige „German Jazz Trophy“ verliehen wurde, begründete er seine Motive, warum er in den sechziger Jahren mit dem politisch-experimentellen Free Jazz jener Jahre gefremdelt habe, mit seiner Vorliebe für das Schöne und das Einfache. Er favorisiere die Schönheit einer einfachen Melodie, weil die Welt ohnehin schon kompliziert genug sei. Als äußerst eleganter Virtuose steht Alexander in der Tradition von Art Tatum, Dave Brubeck und Oscar Peterson, der ihn Anfang der siebziger Jahre der legendären Plattenfirma MPS als seinen Nachfolger empfahl. Noch heute schwärmt Alexander von seiner Zeit in Villingen-Schwennigen und der Hingabe, mit der der Labelchef Hans-Georg Brunner-Schwer seinen Künstlern eine Heimstatt bot: ein gutes Zehntel seiner Diskografie als Leader entstand im „Black Forest“.

Im anschließenden Preisträgerkonzert gelang es dem 1944 in Jamaika geborenen Alexander mitreißend, an der Seite des Bassisten Hassan Shakur und des Schlagzeugers Frits Landesbergen in erstaunlich kurzer Zeit seinen musikalischen Kosmos, der zugleich eine Geschichte des Jazzklaviers ist, umfassend auszubreiten. Angereichert mit augenzwinkernden Zitaten reichte dieser Parforceritt von einem lässigen Calypso-Intro über „Summertime“ und blitzsauberen Verbeugungen vor Nat King Cole und Art Tatum bis hin „Sweet Georgia Brown“. Im Nu hatte der charmant und bescheiden, aber selbstbewusst auftretende Musiker das Publikum mit dramaturgischem Gespür und Professionalität in den Bann geschlagen, gab zudem seinen vorzüglichen Sidemen auf dem eigenen Preisträgerkonzert viel Raum, um zu glänzen. Der Kreis schloss sich, als er schließlich Bob Marleys „No Woman No Cry“ in eine autobiografisch gefärbte Jazzhymne transformierte. Heißt es darin doch: „I remember when we used to sit in the Government Yard in Trenchtown.“ Und hörten im Radio Nat King Cole und Louis Armstrong.