Es ist ein fulminanter Start: Norah Jones und Jamie Cullum eröffnen die Open Air-Konzerte des Festivals Jazz Open auf dem Schlossplatz. Sie sind nicht zum ersten Mal in Stuttgart. Aber das Publikum liebt sie einfach. Was ist ihr Geheimnis?

Stuttgart - Nach dem Regenschauer, der auf Tausende aufgespannter Schirme niederprasselt während des flotten Auftritts der Vorgruppe Beyond Headlines, zeigt sich mit Norah Jones die Abendsonne über dem Schlossplatz. Da strahlt sogar der goldene Hirsch auf der Kuppel des Kunstgebäudes nebenan, und Geethali Norah Jones Shankar aus Brooklyn, wie sie eignetlich heißt, setzt eine Sonnenbrille auf und interpretiert „Peace“, eine Jazzkomposition von Horace Silver. In Zeiten wie diesen ein politisches Statement.

 

Die 37-Jährige spielt jazziger als früher, aber immer noch sehr geschmackvoll Klavier und singt beseelt mit dieser warmen Stimme, die man sofort erkennt. Einer Stimme, in der die Kindlichkeit eines jungen Mädchens und die Sinnlichkeit einer liebenden Frau aufgehoben sind. Norah ist Mama geworden, hat gestillt, Windeln gewechselt und während der vierjährigen Babypause am Klavier, das in ihrer Küche steht, neue Lieder geschrieben. Später wird sie „Flipside“ singen und davon, dass sie endlich wisse, wer sie wirklich ist: „My mind was locked, but I found the key.“

Bei den Hits von 2002, die alle Welt kennt, ist der Beifall am stärksten, „I‘ve Got To See You Again“, „Come Away With Me“ und „Don’t Know Why“. Die Musik changiert zwischen swingendem Jazz und geschmeidigem Pop, süffigen Country-Melodien und dem rauchigen Timbre des Honkytonk. Der Jazz von Norah Jones ist weder widerborstig noch sperrig, er tut nicht weh, er tut einfach gut. Doch manchmal schleicht sich ein wenig Langeweile ein, wenn der Drummer allzu defensiv spielt, der Bass zu eintönig und die Hammondorgel sanft seufzt.

Die Zehn-Mann-Band bringt Leben in die Bude

Doch da folgt mit „Sleeping Wild“ ein neuer temperamentvoller Song und der schaukelnde Swing von „Sinking Soon“, bei dem man glauben könnte, ein betrunkener Matrose hätte ihn geschrieben. Wieder regnet es, die Leute ziehen ihre am Eingang gratis verteilten Plastikcapes über, und ein blasser Regenbogen wölbt sich über dem Ehrenhof des Neuen Schlosses. Die aparte Brünette, die ihn nicht sehen kann, hält jetzt eine Gitarre im Arm und singt das tröstliche und wunderbar warme „Carry On“.

Nach der Umbaupause springt Jamie Cullum auf die Bühne, erobert die Herzen im Sturm, und die Party steigt. Die weiche Melancholie des vorigen Konzerts wird von seiner sehr präzise und kraftvoll agierenden Zehn-Mann-Band weggefegt. Ein scharfer Bläsersatz spielt auf, die Rhythmusgruppe macht Druck, und Jamie Cullum trommelt wie wild auf der beidseitig bespannten Snare, hüpft elastisch wie ein Flummi zu seinem Hauptinstrument, dem Konzertflügel, und spielt im Stehen „Just The Same Thing“, während die Basstrommel stoisch pocht.

Der Song ist 2013 erschienen. Seither kommt Cullum, auch schon 37 Jahre alt, jedes Jahr zum Sommerfestival Jazz Open auf den Schlossplatz. So wie kleine Kinder ein Märchen immer wieder hören wollen, verlangt das Stuttgarter Publikum nach diesem quecksilbrigen Mann mit der jungen Rock-Stimme und dem zupackenden Tastenspiel. Immer wieder ruft er „Schtuuuttgart“, und die Menge antwortet jubelnd. Ist das etwa eine Liebesbeziehung zwischen Jamie und der Stadt? Sieht ganz so aus. Cullum ist halt ein Garant für beste Stimmung, einer, der mitreißen kann, ein geborener Entertainer.

Jazz, eine Nischenmusik? Von wegen!

Nicht von ungefähr hat er einen Tiger hinten auf dem schwarzen T-Shirt. Auf 164 Zentimetern konzentriert sich bei ihm geballte Energie. Wenn er zum Sprung auf den Flügel ansetzt, ist er der Größte. „Baby Please Don’t Go“ spielt die Big Band, und Cullum trifft, astrein singend, mitten hinein ins Wohlfühlzentrum. Keine verlässt da den Innenhof, und auch die Vertreter des männlichen Geschlechts nicken anerkennend im Takt. „The Wind Cries Mary“ klingt mit einem scharf konturierten Bläsersatz und der starken Stimme Cullums ungewohnt, aber richtig gut. Jimi Hendrix – Gott hab ihn selig – hätte sich bestimmt gefreut über Cullums soulige Version.

Als dieser einige noch unveröffentlichte Nummern spielt, muss sich das Publikum an die etwas spröden Klänge erst noch gewöhnen. Sobald Cullum aber wieder ein bekanntes Lied bringt, etwa „What A Difference A Day Makes“, singen die 6500 Menschen lauthals den Refrain mit und bewegen sich vor der Bühne wie ein einziger Schwarm. Dieses wunderbare Gemeinschaftsgefühl, der mitreißende Rhythmus und dieser tolle Musiker und Party-Typ, der da hinunter ins lachende Publikum springt – dafür kommen sie alle Jahre wieder zum Feiern auf den Schlossplatz. Da werden Arme geschwenkt, da wird getanzt, rhythmisch geklatscht und im Takt auf der Stelle gehüpft. Jazz, eine Nischenmusik? Von wegen!