Jennifer Rostock haut am Mittwochabend im Wizemann ordentlich auf die Pauke. Ihren AfD-Song aber könnten sich die Fans im Internet anhören.

Stuttgart - Das mit Usedom konnte einfach nicht gutgehen. Zur Hotelfachfrau oder zur Bäckerin auf der braven Sonneninsel an der Ostsee war Jennifer Weist aus Zinnowitz vom Leben wirklich nicht vorgesehen. Über Rostock ging es nach Berlin, mit ein paar Kumpels entstand 2007 die Band Jennifer Rostock, und heute zählt die resolute 29-Jährige zu den Führungskräften des neuen deutschen Rock-Matriarchats. Beim Konzert im Stuttgarter Wizemann zeigt sie sich als lebenshungrige, reflektierende Frontfrau eines beherzt zupackenden Quintetts. Ein ideologiefreies, hormongesteuertes Schweben zwischen Fun und Feminismus genehmigt sich Weist dabei ebenso wie eine politisch und moralisch klare Kante: halb Usedomina, halb Jeanne d’Arc der neuen deutschen Rockmusik sozusagen.

 

Da fordert sie im ausverkauften kleinen Saal des Wizemann einen Fotografen auf, ihr die Schuhe zu binden, lässt sich vom Publikum den verrutschen BH richten – und zelebriert im nächsten Augenblick Hymnen für eine bessere Welt. Pubertär-prollige Trinkrituale gehören ebenso zur Show wie humanistisch-politische Statements gegen Sündenbock-Mentalität und Fremdenhass („Wir sind alle nicht von hier“), und auch die Regenbogen-Fahne des Protests wird auf der Bühne geschwenkt. Allerdings: Den Anti-AfD-Song „Dann wähl’ die AfD“, mit dem Jennifer Rostock derzeit die Öffentlichkeit polarisiert, gibt’s an diesem Abend nicht, „den könnt ihr euch im Internet anhören“.

Kein Politikseminar also, sondern ein saftiges Set einer Band, die sich eine Meinung, eine Haltung erlaubt – und die eine oder andere Widersprüchlichkeit gleich dazu. Die Musik: ein Mix aus Punk, Metal, Rap, Crossover- und Keyboard-Rock mit nur wenigen, manchmal etwas verkrampften Abstechern ins Hymnenhaft-Poppige („Wir waren hier“) – ein rasanter „Hauptstadt-Rock“, der klingt wie im Red-Bull-Wodka-Rausch gespielt und der das Erbe von Nina Hagen oder den Humpe-Schwestern Annette (Ideal) und Inga (Neonbabies) mit der Härte und Atemlosigkeit der Gegenwart verklebt. Und ein Soundtrack, der vom Lebensgefühl der Whatsapp-Generation in unsteten digitalen Zeiten erzählt. „Wer seine Jugend nicht verschwendet, der hat sie schon verpasst“, heißt es in „Uns gehört die Nacht“, dem Opener des eben erschienenen fünften Albums, und die gut fünfhundert Zuschauer im Wizemann lassen sich nicht zweimal bitten.

Je länger der knapp neunzigminütige Auftritt, desto mehr bestimmen gereckte Arme überall und eine Pogo-Horde vor der Bühne das Bild; erst recht, da die Band kaum vom Gaspedal geht und mit Dringlichkeit rockt. Und wie inbrünstig das überwiegend weibliche Publikum Songs wie „Der Kapitän“ und „Ein Schmerz und eine Kehle“ mitschmettert, zeigt, wie stark sich die Sängerin zu einer jugendlichen Identifikationsfigur entwickelt hat – die damit verbundene Polarisierung inklusive.