SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hofft auf eine ähnliche Aufholjagd bis zu den Bundestagswahlen, wie sie Jeremy Corbyn gerade bei den Unterhauswahlen in Großbritannien hingelegt hat.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - In der Not klammert sich die SPD an jeden Strohhalm. Nun weht der „wind of change“ von der Insel herüber – oder ist es lediglich ein laues Lüftchen? „Habe gerade mit Jeremy Corbyn telefoniert. Haben schnelles Treffen vereinbart“, twittert Parteichef Martin Schulz reaktionsschnell, als der „tolle Erfolg“ (Schulz bei Facebook) feststeht. Gerade hat der ARD-„Deutschlandtrend“ dem Kanzlerkandidaten den niedrigsten Popularitätswert attestiert, der bisher für ihn gemessen wurde. Da verwundert es nicht, dass Schulz noch rasch auf den Corbyn-Zug aufspringen möchte. Die Trendwende muss endlich her, egal wie.

 

Dass ausgerechnet der knorrige Altlinke Jeremy Corbyn die Sensation schafft, hat freilich Gründe, aus denen selbst Martin Schulz Hoffnung schöpfen darf. So hat es der 68-jährige Labour-Chef vermocht, die junge Generation für sich zu begeistern. Mehr als eine Million junger Briten ließen sich als Wähler registrieren, und mehr als 300 000 Menschen hat er in die Partei gelockt. Dies wäre die erste Parallele: Der sogenannte Schulz-Effekt bedeutet nämlich auch, dass die SPD in diesem Jahr schon mehr als 17 000 Neuzugänge zählt, vier von fünf Neuen sind im „Juso-Alter“. Spürbar ist dies auf Parteiveranstaltungen, wo der Enthusiasmus der Jungen trotz der schweren Phase noch nicht erlahmt scheint.

Jugend will sich die Zukunft nicht verbauen lassen

Auf der Insel hat das Erwachen der sonst so wahlmüden Klientel vor allem mit dem drohenden Brexit zu tun: Die Jugend will sich von den Nationalisten nicht die Zukunft in Europa verbauen lassen. Hierzulande dominiert allgemein die Europafreundlichkeit, trotzdem könnte Schulz als glühender Verfechter einer solidarischen EU eher davon profitieren als Angela Merkel. Sinnigerweise kommentiert er das „gigantische“ Labour-Ergebnis am Freitag noch bei einer Diskussion mit Studenten der Universität Gießen: Im Londoner Parlament gebe es nun eine Mehrheit von Brexit-Skeptikern. „Da kommt jetzt eine große Dynamik rein.“

Angetrieben von den sozialen Medien hat Corbyn die jüngeren Briten, die gewerkschaftsnahen Kreise und Migranten aber auch mit den weiteren Wahlkampfschlagern angesprochen: Abrüstung, Steuererhöhungen für Reiche sowie eine Erneuerung des öffentlichen Dienstes mit mehr Geld für das Gesundheitswesen und die Polizei. Hier stimmen der Labour-Mann und der Sozialdemokrat ebenfalls programmatisch überein. Allerdings ist der Staatssektor des Königreichs in einem völlig maroden Zustand. Die Angst, Theresa May könnte dort weiter sparen, wirkte da wie ein Dopingmittel. In Deutschland gelten hohe Standards, und die Einsicht in Zukunftsinvestitionen ist geringer ausgeprägt. So ist die SPD-Forderung nach mehr Milliarden für Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur noch nicht der große Renner.

Beharrlichkeit zahlt sich aus

Corbyn zeigt: Es braucht Beharrlichkeit, um eine starke Bewegung anzuschieben. Der zähe Politveteran hat sich von all dem Spott über sein angeblich chaotisches, regierungsuntaugliches Gebaren nicht beirren lassen. Einen „linken Schlafwandler“ hat ihn Ex-Premier Tony Blair mal genannt, einen „linken Spinner“ der „Economist“. Nun triumphiert der Spätberufene. „Was für eine Aufholjagd“, twittert Schulz. Davon dürfte er nun auch träumen. Falls es aber der eine Bartträger dem anderen nicht gleich nachmachen kann, so könnte er es in vier Jahren wieder versuchen.