Ein Leichenbestatter in Nöten. Jeremy Massey erzählt in seinem temporeichen Debütroman von den „letzten vier Tagen des Paddy Buckley“.

Stuttgart - „Das wuchs mir alles über den Kopf, die einzige Wahl, die ich hatte, war einfach weiterzumachen. Zurück im Büro, stieg ich zum Dachboden hoch und setzte mich auf eine Bahre, umgeben von einer Legion von Särgen, die mich angrinsten. Welchen Rat würde mir mein Vater jetzt geben? Wenn er hier oben bei mir wäre (...), würde er wahrscheinlich die Hand auf meine Schulter legen und den Kopf senken, um die Schande mit mir zu teilen. Und aus seinem Mund käme die alte Weisheit: ‚Böse Taten fallen auf den Übeltäter zurück.’ Ich war ein toter Mann.“

 

Das ist wahr. Paddy Buckley hat sich in eine Situation gebracht, aus der er wahrscheinlich lebend nicht mehr herauskommt. Von daher ist sowohl sein Beruf als auch sein jetziger Aufenthaltsort passend: Er ist Leichenbestatter bei Gallagher in Dublin und in dem Raum, wo früher die Särge gezimmert wurden. Schon sein Vater hat hier gearbeitet.

Tod beim Sex

Denn er sitzt ganz schön in der Klemme: Zum einen war es wenig professionell von ihm, dass er der soeben verwitweten Lucy Wright nicht nur bei der Auswahl des Sargs und der Planung der Beerdigung hilft, sondern sie tröstend in den Arm nimmt. Und dann kommt eins zum anderen: Während sie miteinander schlafen, stirbt Lucy, sie war seit vielen Jahren herzkrank. Diesen Tod kann Paddy noch vertuschen, die Obduktion erkennt Herzversagen. Dann verliebt er sich zwei Tage später beim Beratungsgespräch in Lucys Tochter Brigid, die ihrer Mutter sehr ähnlich sieht und die den Tod ihrer Eltern direkt nacheinander „romantisch“ findet. Wie soll er mit dieser Schuld, ihre Mutter quasi umgebracht zu haben, eine Beziehung anfangen?

Aber dann sein Hauptfehler: Er überfährt aus Versehen Donal Cullen, den Bruder des Unterweltbosses Vincent Cullen. Mitten in der Nacht - er hat vergessen, das Licht anzumachen, und fummelt grade, übermüdet wie er ist, an seinem Autoradio herum, als es knallt. Natürlich steigt er aus und schaut nach, ob er noch helfen kann, aber als er merkt, dass der andere tot ist, und als er in der Brieftasche seinen Namen liest, rast er davon. Unerkannt, wie er hofft.

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf

Und natürlich, wie das in Romanen so ist, muss er danach die Beerdigung für ihn ausrichten, muss mit Vincent reden, von dem man sagt, dass er jede Lüge, jede Unaufrichtigkeit sofort spürt. Was Paddy natürlich noch nervöser macht. Und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

Der ehemalige Bestatter Jeremy Massey erzählt in seinem Debütroman die „letzten vier Tage des Paddy Buckley“ (so der Titel), meist, aber nicht immer aus dessen Sicht. Sein hohes Tempo, das sich zum Schluss hin sogar noch rasant steigert, unterbricht er immer wieder mit retardierenden Kapiteln. Erzählt ausschweifend und sensibel von Paddys Liebe zu Brigid. Von der alltäglichen Arbeit eines Bestatters, von den elenden Gestalten im maroden Altersheim, die dem nächtlich verstohlenen Abholen eines der ihren voller Panik zusehen. Von den losen oder engeren Freundschaften, von den Pubs der alten Dubliner. Von unglücklichen Zufällen, z.B. wenn der falsche Sarg zur Beerdigung gebracht wird und man mit viel Geschick den Hinterbliebenen klarmachen muss, dass sie ihn doch nicht aufmachen können, um von ihrem Sohn Abschied nehmen zu können.

Kitschige Liebesgeschichte, blutiges Finale

Der Hauptstrang des Romans aber handelt vom Duell zwischen Paddy und Vincent Cullen. Eine große Rolle spielen dabei Dechtire, Cullens Hund, eine Mischung aus Wolf, Fuchs und Deutschem Schäferhund, Paddys Kollege Christy, eine Pferdewette und vor allem der Trick mit dem „unabhängigen Kanal 24“, den Paddys Vater ihm beigebracht hat: eine mystisch-psychologische Technik, mit der man nicht nur Tiere zähmen, sondern sich auch aus seinem Körper begeben und seinem Leben unter sich in aller Ruhe zusehen kann - was Paddy grade wirklich braucht.

Wie sich dieser Kriminalroman der etwas anderen Art bis zu einem sehr blutigen Finale steigert, wird sicher und gekonnt erzählt, mit viel Humor, der auch manchmal ins Böse gleitet, aber nie unpassend ist. Dass Massey, früher Bestatter, danach Drehbuchschreiber, vor allem in den Liebesgeschichten zuweilen ins Pathos und in den Kitsch abgleitet, ist schade, ansonsten ist sein Roman ein gelungenes Debüt, das für einige Stunden sehr gut unterhält.

Jeremy Massey: Die letzten vier Tage des Paddy Buckley. Übersetzt von Hubert Fell. Carl’s Books. 266 Seiten, 14,99 Euro