Kein Mensch kannte den englischen Krimiautor Robert Galbraith. Nun ist aufgeflogen, dass die „Harry-Potter“-Autorin J.K. Rowling hinter dem Tarnnamen steckt. Ist da eiskaltes Marketing am Werk oder der Versuch gescheitert, dem Erwartungsdruck zu entkommen?

Stuttgart - Misstrauen ist die Geschäftsgrundlage des Detektivs.Er muss viel fragen, aber er darf nicht alles glauben, was man ihm erzählt. Dürfen also wir den Detektiven alles glauben, was sie uns erzählen? Auch wenn ein Großteil der Ich-Perspektiven-Krimis die Glaubwürdigkeit des erzählenden Ermittlers nie in Frage stellt, raten wir zur Vorsicht.

 

In den letzten Tagen haben die Kollegen der britischen Zeitung Sunday Times viel Ruhm als Literaturdetektive eingeheimst. Ihnen war angeblich aufgefallen, dass der Debütroman eines Krimineulings, eines gewissen Robert Galbraith, zu ausgereift und professionell für ein Anfängerstück sei.

Die Wünschelrute der Sunday Times

Wie bitte? Erste Bücher sind stets von charakteristischen Makeln behaftet? Es gibt keine Autoren, deren erstes Buch ihr bestes, weil am längsten gereiftes ist? Es erscheinen keine Debütromane, die professioneller klingen als die Folgebände, weil hier erfahrene Lektoren am entschlossensten unter die Arme gegriffen haben? Wir staunen über die feinen Wünschelruten, mit denen man bei der Sunday Times Texte prüft.

Die misstrauischen Journalisten jedenfalls wollen weiter geschnüffelt, Indiz um Indiz gesammelt und stilistische Ähnlichkeiten zu einer etablierten Autorin gefunden haben.Und so konnten sie denn am Sonntag die Kulturschabernackgeschichte des Monats (oder, warten wir ab, was noch kommt: der Woche) liefern: Robert Galbraith ist in Wirklichkeit Joanne K. Rowling, die Harry-Potter-Überautorin, die Megaseller-Lieferantin, die sich hinter einem Pseudonym vor den Rachegöttinnen des Hype-Universums, vor den Furien des Erwartungsdruckes versteckt hatte. Schau an.

Nach der Trillerpfeife

Der im April erschienene „The Cuckoo’s Calling“, wie der Roman des vorgeblichen Robert Galbraith im Original heißt, war von einigen Kritikern wohlwollend rezensiert, von vielen aber gar nicht wahrgenommen worden. Im titelreichen Krimisektor war das kaum anders zu erwarten. Verkauft wurden angeblich 1500 Exemplare der Hardcover-Ausgabe (es kursieren auch niedrigere Zahlen, zum Beispiel 500). Das ist die traurige Realität für manchen guten Text. Seit die Sunday Times Rowling enttarnt hat, schnalzte das Buch in den Verkaufscharts bereits weit nach oben.

Das könnte mehr als eine vorübergehende Neugierzuckung sein. Vielleicht haben Leser das Gefühl, sie dürften ein Rowling-Buch endlich mal wieder für sich entdecken und nicht nur als konditionierte Konsumentenmasse den Trillerpfeifenkommandos der Eventchoreographen gehorchen. „The Cuckoo’s Calling“ kam ja nun wirklich ganz anders in den Buchhandel als Rowlings erster Post-Potter-Roman, „Ein plötzlicher Todesfall“.

Der wurde vorab bewacht, behütet und bemunkelt wie der Auslösesprengsatz eines globalen Volkswirtschaftsbebens. Er wurde dann in aufdringlichen Kauf-mich-Du-Wicht-oder-ich-fall-Dir-auf-den-Kopf-Stapeln neben jeder Buchhandelskasse platziert. Er konnte also nur scheitern, an den mit viel Werbehelium aufgeblasenen Umsatz- und Leseorgasmuserwartungen.

Immer den Brotkrumen nach?

Aber kann sich jetzt der souveräne Leser in Komplizenschaft mit einer hype-müden Autorin von den Gängeleien des Vermarktungsapparates emanzipieren? Oder folgt auch diese „Entdeckung“ des Stars Rowling hinter dem Niemand Galbraith dem Ablaufplan einer Kampagne? Bekamen die Kollegen von der Sunday Times Tipps und Hinweise? Hat man ihnen die Entdeckung zumindest leicht gemacht? Hat man ihnen Brotkrumen gestreut bis zum Versteck der Autorin?

Denkbar ist das immerhin. Zumindest ist das Galbraith-Pseudonym zu einem sehr passenden Zeitpunkt aufgeflogen. „The Cuckoo’s Calling“ dürfte gerade auf sehr vielen, auch auf ganz kurzen Mitnahmelisten für Urlaubslektüre landen.

Der Autor Adrian McKinty hat in einem säuerlichen Blogeintrag darauf hingewiesen, dass nicht die Qualität des Buches, sondern die Qualität des Marketing entscheidend für den Erfolg sei. Damit hat er sicher recht, mit dem unterschwelligen Unfairness-Vorwurf an Rowling und deren Verlag vielleicht nicht. Die Verkaufszahlen von Robert Galbraith belegen ja, was mit einem offenbar durchaus soliden Krimi und einer normalen Markteinführungskampagne (ein Plätzchen im Katalog, ein gutes Wort vom Vertreter, ein paar Gratisexemplare für Rezensenten) noch zu erreichen ist. Jämmerlich wenig. Wem Mittel und Wege zur Verfügung stehen, dem Schicksal des Übersehenwerdens zu entgehen, der nutzt sie eben.

Mehr als Zombiedumpfheit

Der Markt ist nicht nur das, was Kampagnenstrategen aus ihm machen. Der Markt ist auch das, was der Kunde aus ihm macht. Soll das also heißen, eine Verweigerungsstrategie sei die richtige Antwort auf den neuen Rowling-Coup? Der ein oder andere Occupy-Buchmarkt-Erregte mag das so empfinden, und dann soll er auch so handeln. Aber neugierig zu sein auf den neuen Rowling-Roman ist noch lange keine bloße Zombiedumpfheit im Sklavenkral des Voodoo-Werbers.

Wie also soll man sich verhalten? Wir hätten da einen Vorschlag zur Güte. Wer „The Cuckoo’s Calling“ kauft, respektive, dessen irgendwann erscheinende deutsche Übersetzung, der kauft gleich einen echten Debütkrimi mit, ein Buch, das keine Schlagzeilen als Lockung hat, sondern nur einen interessanten Klappentext, ein neugierig machendes Lobzitat, einen guten ersten Satz, was auch immer. Also nur das, was ein paar Wochen lang auch Robert Galbraith zu bieten hatte. Der Vergleich von echter Neulingsleistung und Versteckspieltext dürfte zusätzlichen Spaß machen, und der Markt spürt Nachfrage nach noch Unbekanntem. Vielleicht kann man sich dann sogar wundern über die Findigkeit von Literaturdetektiven, die sicher wissen, wie sie einen Erstling vom Kuckucksei eines Profis zu unterscheiden haben.