Eine ermordete Frau ist für die Polizei im Osttexas der Dreißiger bloß eine Belästigung. Kein Wunder, dass die bettelarmen Figuren von Joe R. Lansdale abhauen wollen aus der Provinz. Aber wie?

Stuttgart - Sue Ellen bringt es auf den Punkt. „Keiner von uns war in Osttexas glücklich“, beschreibt die sechzehnjährige Erzählerin von Joe R. Lansdales „Dunkle Gewässer“ die Grundbefindlichkeit aller Figuren des Mitte der dreißiger Jahre spielenden Romans. Aber Unglück ist nicht unbedingt immer auch Kraftnahrung für den Veränderungswillen, und es macht die Betroffenen auch nicht grundsätzlich gleich im Elend. Im Buch gibt es trotz gelegentlicher Verwischungen der Grenzlinie Opfer und Täter. Und die Opfer stecken fest im Schlick aus Armut, Brutalität und Perspektivlosigkeit.

 

Rohheit und Entwürdigung

Diejenige, die am konsequentesten davon träumte, aus diesem maroden Hinterland wegzukommen, ist schon tot, als Sue Ellen zu erzählen beginnt. Die zuvor so attraktive May Lynn, die von Hollywood träumte, wird als aufgedunsenes Bündel Verwesung aus dem Wasser gezogen. Die mit Draht gefesselten Hände und Füße und die Nähmaschine, mit der die Leiche beschwert wurde, machen selbst dem örtlichen Vertreter des Gesetzes klar, dass kein Selbstmord vorliegt. Weshalb dieser Constable Sy die Überreste von May Lynn fix und umstandslos verscharren lässt. Alles andere brächte bloß Arbeit. Immerhin, das ist noch nicht einmal die schlimmstmögliche Haltung. In der Gruppe, die May Lynn gefunden hat, gab es zunächst sogar die Diskussion, ob man die Leiche nicht einfach wieder an einer tieferen Stelle versenken sollte.

So viel Rohheit und Entwürdigung gibt Sue Ellen und ihren Freunden – dem im gefährlichen Ruch des Schwulseins stehenden Terry und dem in dieser Ku-Klux-Klan-Gegend selbstmörderisch selbstbewussten schwarzen Mädchen Jinx – den entscheidenden Schubs. Sie denken ernstlich darüber nach, endlich abzuhauen. Aber Terry besteht darauf, dass sie vorher noch May Lynn ausgraben, verbrennen und die Asche dann nach Hollywood bringen.

Mit dem Floß auf dem Zitatenfluss

Der Ausbruchsversuch in ein besseres Leben, die Versuche, Apathie und Zwänge abzuschütteln, die der 1951 in Texas geborene Lansdale nun schildert, spielen mit mancherlei Vorbildern. In der fast schon komischen Härte der Verhältnisse schimmert der Süden von William Faulkner durch. Eine Floßfahrt erinnert an Mark Twain und an den Aufbruch von Huckleberry Finn und dem Schwarzen Jim aus einer Welt der Bigotterie und des Rassismus. Die Irrfahrten des Odysseus werden angetippt, als die Flüchtenden – zu denen nun auch Sue Ellens lange von Suff und Prügeln willenlos gemachte Mutter zählt – kurz nach dem Aufbruch eine lange Pause machen. Weil die Verhältnisse ein bisschen besser sind als gewohnt, verlieren sie ihr Ziel vorübergehend wie die Lotusesser aus den Augen.

Eine Grimm’sche Märchensituation gibt es auch. Die da bereits in mehrere Todesfälle verstrickten Flüchtenden werden zu Geiseln einer alten Frau, die von Jinx offen als Hexe beschimpft wird. Und die von Schauermärchen umrankte Gestalt, die hinter Sue Ellens Grüppchen herjagt, ein verrückter, in der Wildnis hausender Miet-Racheengel, hat zwar viele Vorbilder. Aber auf Krimivielleser wirkt dieser Skunk Genannte wie ein böses Gegenstück zu dem Ex-Gouverneur Skink, der in vielen Romanen von Carl Hiaasen durch die Sümpfe Floridas streicht.

Eine Sprache voller Hunde und Schlangen

Aber es sind nicht die Zitatenspiele, auch nicht die kuriosen Ereignisse und Figuren, deretwegen man „Dunkle Gewässer“ lesen sollte. Die wahre Qualität des Buches liegt in der Erzählstimme von Sue Ellen, in der konsequent aus dem ländlichen Alltag erwachsenden Bildhaftigkeit der Sprache. „Ich kam mir vor wie ein trauriger alter Hund, der endlich mal gestreichelt worden war“, beschreibt Sue Ellen einmal ihre Gefühle. Ein andermal erklärt sie, etwas sei so selten wie getaufte Klapperschlangen.

Diese Geschichte erzählt den Ausnahmezustand, ihre von Hannes Riffel glaubhaft übersetzte Sprache aber verweist auf den Normalzustand eines Landlebens zwischen Tristesse und Wahnsinn. Lansdale, ein Großmeister des Texas Noir, führt die Sehnsucht nach der guten alten Zeit am bluttriefenden Nasenring ad absurdum.

Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer.
Roman. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart. Aus dem Englischen von Hannes Riffel. 320 Seiten, 19,95 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.

Lesung:
Joe R. Lansdale stellt sein Buch im Rahmen der Stuttgarter Kriminächte am Sonntag, 17.03., um 17 Uhr im Römerkastell vor.