Der erste Amerikaner im All ist er zwar nicht geworden. Dafür hält John Glenn zwei andere Raumfahrer-Rekorde – und galt nicht nur deswegen vielen als Held. Nun ist Glenn im Alter von 95 Jahren gestorben.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

New York - 4. Oktober 1957, 19:28:34 Uhr. Eine sowjetische Trägerrakete startet vom Weltraumbahnhof im kasachischen Baikonur. Oben an der Spitze der Rakete Sputnik 1, der erste künstliche Erdtrabant. Nachdem die 83,6 Kilogramm schwere mit Stickstoff gefüllte, hochglanzpolierte Aluminiumkugel die Erdumlaufbahn erreicht hat, kreist sie in einer elliptischen Bahn in 215 bis 939 Kilometer Höhe um den Blauen Planeten. Am 4. Januar 1958, nach 92 Tagen im All, verglüht der Satellit.

 

Mit Sputnik beginnt der Wettlauf ins All

Der Wettlauf ins All ist eröffnet. West gegen Ost, die USA gegen die Sowjetunion, die westlichen Demokratien gegen den kommunistischen Machtbereich. In den ersten Jahren der Raumfahrt haben die Sowjets klar die Nase vorn. Am 3. November 1957 hebt um 2:30 Uhr Sputnik 2 ab. An Bord: Laika, das erste Lebewesen von „Terra“, das in den Orbit fliegt.

Die dreijährige Mischlingshündin liegt eingezwängt in der Kapsel. Die Sensoren an Bord zeugen, dass Laika beim Start extrem gestresst ist. Erst 2002 gestehen russische Experten offiziell ein, dass die Hündin schon fünf bis sieben Stunden nach dem Abheben der Rakete an Überhitzung und Stress gestorben war. Ein Teil der Hitzeabschirmung der Raumkapsel hatte sich gelöst und die Innentemperatur stark ansteigen lassen.

Am 1. Februar 1958 sind die Amerikaner an der Reihe. Der Satellit Explorer 1 startet von der Cape Canaveral Air Force Station in Florida.

Drei Jahre später, am 12. April 1961, folgt der bis dahin größte Meilenstein des Wettlaufs ins All: Der russische Kosmonaut Juri Gagarin begibt sich an Bord der Wostok 1 und umrundet in 106 Minuten einmal die Erde. Nach 41 000 Kilometern endet der erste bemannte Raumflug. Die Raumkapsel mit Gagarin an Bord landet im Wolga-Gebiet.

Am 29. November 1961 schießen die Amerikaner den Schimpansen Enos an Bord einer Mercury Atlas 5 Rakete ins All.

John Glenn – ein Amerikaner erobert den Orbit

20. Februar 1962: John Glenn zwängt sich auf dem Weltraumbahnhof Cape Canaveral in die winzige Mercury Kapsel Friendship 7. Das Raumschiff ist auf die Spitze einer Mercury Atlas 6 Rakete montiert.

Um 14:47:39 Uhr hebt die Rakete ab und erreicht nach zehn Minuten den Orbit. In den folgenden knapp fünf Stunden umrundet der 39-Jährige mit einer Maximalgeschwindigkeit von über 28 000 Kilometern drei Mal die Erde.

Aus 265 Kilometern Höhe schaut er durch seine kleine Bordluke auf die blau-weiße Kugel hinab. Da das Hitzeschild nicht richtig montiert war, besteht die Gefahr, dass Friendship 7 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglüht und Glenn zu Staub zerfällt.

Die Rückkehr zur Erde wird ein Höllenritt. Die Landekapsel pendelt stark, der Treibstoff wird für die Lageregelung restlos aufgebraucht. Doch weil sich der Hilfsfallschirm früher als geplant auslöst, wird das Gefährt stabilisiert. Der Zerstörer USS Noa hievt die Kapsel mitsamt dem Astronauten an Bord aus dem Atlantik. Glenn sprengt die Einstiegsluke auf und verletzt sich dabei an der Hand. Aber außer Erschöpfung und Durst hat er keine Beschwerden. Die Rückkehr in die Heimat wird zum Triumphzug.

„What a sad day for All American dreamers“

8. Dezember 2016: Der Mann, der Raumfahrtgeschichte schrieb, stirbt im Alter von 95 Jahren in seinem Heimatbundesstaat Ohio. „Der Tod von John Glenn macht uns traurig“, teilt die US-Raumfahrtbehörde Nasa per Twitter mit. „Ein wahrer amerikanischer Held.“ „What a sad day for All American dreamers“ – „Was für ein trauriger Tag für alle amerikanischen Träumer“, retweetet ein Militärveteran.

John Glenn – der Mensch hinter der Legende

John Herschel Glenn wird am 18. Juli 1921 in Ohio als Sohn eines Eisenbahnschaffners geboren. Nach dem Mathematikstudium kommt er 1942 als Kadett zu den Marinefliegern. Schon zwei Jahre später fliegt er im Zweiten Weltkrieg von den Marshall-Inseln aus rund 60 Kampfeinsätze im Pazifik, Jahre später während des Korea-Feldzugs noch einmal so viele. Er zählt zu den erfolgreichsten Piloten seiner Zeit, wird dutzendfach dekoriert. Dann testet er als Versuchsflieger neue Düsenjets und wird so schließlich Astronaut.

Der allererste Amerikaner im Weltraum wird Glenn allerdings nicht. Diese Ehre wird am 5. Mai 1961 dem 1998 gestorbenen Alan Shephard zuteil, der an Bord einer Mercury Kapsel ins All geschossen wird und wenige Sekunden in der Schwerelosigkeit verbringt.

„Der Tag hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt“

Glenn hatte sich der Legende nach mit einem Wutausbruch die Chance auf diese Pole-Position selbst verbaut: Das fromme Mitglied der Presbyterianer-Kirche rief seine lebenslustigen Astronautenkollegen 1961 recht harsch dazu auf, nicht jeder Frau hinterher zu rennen, weil sie damit den Ruf des gesamten Raumfahrtprogramms gefährdeten. Die verärgerten Kollegen rächten sich und stimmten dagegen, dass Glenn als erster oder zweiter Amerikaner ins All fliegt.

Den Rekord des ersten Amerikaners, der die Erde umrundet, bekommt er 1962 dann aber trotzdem. „Der Tag hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt“, sagt Glenn ein halbes Jahrhundert später. „Es fühlt sich an, als ob es erst zwei Wochen her wäre und nicht 50 Jahre.“

Am 29. Oktober 1998 schafft er einen zweiten Rekord: Kein Astronaut zuvor war so alt wie Glenn mit 77 Jahren, als er unter den Augen von Millionen Fernsehzuschauern mit dem Space Shuttle „Discovery“ zu einem neuntägigen Weltraumeinsatz startet. Mit dem Flug soll untersucht werden, wie sich die Schwerelosigkeit auf ältere Menschen auswirkt. Glenn übersteht ihn problemlos und scherzt später, er habe beweisen wollen, „dass Senioren eines Tages Urlaub im All machen können“.

US-Senator und Raumfahrt-Fan

Die Zeit zwischen seinen Weltraumflügen nutzt er als erfolgreicher Politiker. 1974 gewinnt – unterstützt durch seinen Ruhm als Astronaut – die Wahl zum US-Senator. Den Posten behält er fast ein Vierteljahrhundert. In der Politik muss der Demokrat allerdings auch harte Niederlagen einstecken. 1976 scheitert er daran, Vize-Präsidentschaftskandidat von Jimmy Carter zu werden. 1984 nimmt Glenn einen vergeblichen Anlauf, für seine Partei als Präsidentschaftskandidat ins Rennen zu gehen.

Trotzdem kann Glenn, der 1943 seine Frau Anna Margaret geheiratet und mit ihr zwei Kinder hat, von der Politik nie ganz lassen. Mit einem nach ihm benannten Institut an der Universität von Ohio will er Jugendliche für Regierungsämter fit machen. Auch in das Weltraum-Programm der Nasa mischt er sich immer wieder öffentlichkeitswirksam ein und kritisiert die Abhängigkeit von Russland bei den bemannten Raumflügen.

„Ich liebe es zu fliegen und das wird immer so bleiben“

Bis ins hohe Alter hält sich Glenn mit Gewichtheben und Golf fit. Sein kleines Flugzeug verkauft er erst mit fast 90 Jahren, nachdem sowohl er als auch seine Frau künstliche Kniegelenke eingesetzt bekommen haben. Nur unter Schmerzen habe er sich von seiner Beechcraft Baron getrennt, sagt Glenn damals dem Radiosender NPR. „Aber ich liebe es immer noch zu fliegen und das wird immer so bleiben.“

Den bisher größten Triumph im Wettlauf ins All verbucht allerdings ein anderer Amerikaner. Am 21. Juli 1969 um 02:56:20 Uhr betritt Neil Armstrong als erster Mensch den Mond und spricht die unsterblichen Worte: „That’s one small step for man . . . one . . . giant leap for mankind“ – „Das ist ein kleiner Schritt für den Menschen . . . ein . . . riesiger Sprung für die Menschheit.“