Nach 250 Jahren wird Niccolò Jommellis „Berenike, Königin von Armenien“ wieder auf die Bühne gebracht. Erzählt wird eine Dreiecksgeschichte, bei der am Ende alle leer ausgehen.

Stuttgart - Wenn es in der Oper nicht um die Liebe geht, dann um den Tod – meistens aber um beides. Denn dramatisch wird es erst, wenn sich beide durchkreuzen. Das war in den antiken Stoffen nicht anders als bei denen von Beethoven, Wagner und Bizet. Eine der alten Fabeln handelt von Lucio Vero, dem Mitregenten des römischen Kaisers Marco Aurelio, der in den Krieg gegen die von Vologeso angeführten Parther zieht und sich dabei in dessen Braut Berenice verknallt. Nach dem Sieg nehmen alle an, dass Vologeso tot ist, die von Lucio Vero festgesetzte Berenice wird von ihm bedrängt. Doch Vologeso hat überlebt, sich als Diener unerkannt eingeschlichen und will den Gegner mit einem Gifttrank umbringen. Als Berenice versehentlich zum Becher greift, schlägt er ihn ihr aus der Hand, um sie zu retten. So fliegt alles auf, Vologeso soll in der Arena Beute der Löwen werden. Berenice springt hinzu, um mit ihm zu sterben. Eine Tote taugt schlecht zur Liebe, weswegen Lucio Vero sie und Vologeso im letzten Moment rettet.

 

Nun beginnt ein langes Hin und Her: Wenn du mich erhörst, rette ich den Parther-König, heißt Lucio Veros Angebot, das Berenice schwer in Bedrängnis bringt. Probleme auch an anderer Stelle. Lucilla, Marco Aurelios Tochter, ist aus Rom angelandet, sie ist Lucio Veros Braut. Begleitet wird sie vom Gesandten Flavio, der auf Eheschließung dringt, sonst werde Lucio Vero abgesetzt. Durch dieses letzte Druckmittel biegt das Dramma per Musica der Theaterkonvention gehorchend zum glücklichen Ende. 1699 hat Apostolo Zeno das Sujet zum Libretto geknetet, rund hundert Vertonungen und Adaptionen basieren auf dem Buch. 1766 kam die Fassung von Niccolò Jommelli im Riesentheater von Ludwigsburg heraus, das im Jahr zuvor errichtet worden war. Knapp 16 Jahre bis 1769 war der Italiener Hofkomponist des Herzogs Carl Eugen; „Il Vologeso“ blieb wie viele seiner mehr als sechzig Opern – ein Drittel davon allein für den Württemberger Herrn – lange Archivware.

Die Oper hat musikdramatisches Potenzial

1986 wurde in Stuttgart Jommellis letzte für den hiesigen Hof komponierte Oper „Fetonte“ vorgestellt; doch erst der Einsatz des Dirigenten Frieder Bernius hatte nachhaltigere Wirkung. Er edierte „Il Vologeso“ aus dem in der Württembergischen Landesbibliothek verwahrten Aufführungsmaterial und spielte 1997 eine Gesamtaufnahme ein, die einen guten Eindruck von dem musikdramatischen Potenzial der Oper vermittelt. Jommelli hat tatsächlich energisch die Emanzipation des etablierten Seria-Schemas vorangetrieben, wie es am Populärsten in Händels Opern zur Geltung kommt. Die Verdichtung der formalen Verläufe, enge Anschlüsse von Rezitativen und Arien, ein farblich erweitertes Orchester – Jommelli hatte zur Zeit der Komposition mehr als 45 Musiker zur Verfügung – führen zu eindringlichen Tableaus.

Der erste Akt wirkt noch recht schematisch, die Phrasierungen allzu symmetrisch, viele Sequenzierungen unterlaufen den Schwung. Im dritten Akt jedoch fügt sich alles zusammen, die großen Arien von Lucio Vero, Lucilla, Vologeso, dann die Ombra-Szene der Berenice mit obligaten Holzbläsern, die auf die großen Nacht- und Wahnsinnszenen der italienischen Opernromantik vorausweist, schließlich das ganz außergewöhnliche von verstörenden Generalpausen durchsetzte Orchesterfinale – das hat Züge eines Meisterwerks.

Auf Bernius’ Transkription basiert nun die erste szenische Aufführung des „Vologeso“. An der Staatsoper Stuttgart läuft das Werk unter dem Titel „Berenike, Königin von Armenien“, eine zulässige Umbenennung. Ebenso könnte das Werk ja „Lucio Vero“ heißen. Eine Frau zwischen zwei Männern: alle drei sind je nach Perspektive die zentralen Figuren des Dramas. Inszeniert wurde die Ausgrabung vom Regieteam Jossi Wieler/Sergio Morabito und Anna Viebrock (Bühne und Kostüme). Viebrocks einheitlicher, für ihre Verhältnisse ungewöhnlich geheimnisloser Spielraum, ist inspiriert von Tintorettos Gemälde „Die Fußwaschung“ von 1549, mit der charakteristischen Perspektive auf eine hinter den Säulen sich öffnende Stadt-Vedute. In sie schneidet Viebrock collagenartig profane heutige Wohngebäude, vorne führen Treppen in den flachen Orchestergraben, der ebenfalls bespielt wird.

Drei Akte schaut Berenice traurig aus der Wäsche

Zur Ouvertüre weht die Welt alle Figuren in diese Halle, es sind Verlorene, Verzagte, Zitternde, in Sport- oder Tennisdress, wie sediert wechseln sie zusammengesuchte Kleider, dort Soldatenstiefel zur Kniebundhose im Tarnlook, dazu ein weinroter Rock des 18. Jahrhunderts, dort ein rostbraunes Wollkleid, spätes 20. Jahrhundert. Schwer traumatisiert Vologeso, der im Krieg seinen linken Arm verloren hat. Eine fragile Gestalt, auch weil Wieler/Morabito die für einen Kastraten komponierte Rolle der zarten Mezzosopranistin Sophie Marilley übertragen haben, gegen die Ana Durlovskis Berenice robust-gesund wirkt, obwohl sie drei Akte lang kaum anders als trauerkloßig aus der Wäsche schaut.

Rotwangig, auf kräftigen Waden stapfend, den kaiserlichen Lorbeer auf dem Haupt bedrängt Sebastian Kohlhepp diese Berenice und momentweise deutet sich an, dass sie, vielleicht vom Stockholm-Syndrom erfasst, Gegenfühlung aufnimmt. Kein Wunder, denn bei Wieler/Morabito ist Vologeso von Anfang an am Ende, was Berenices Gefühlen etwas die Plausibilität nimmt. Kommt hinzu, dass Marilley auch vokal nicht bezirzt, zwar gelegentlich im Piano einen Ton schön ansetzt, ihr Mezzo bald aber hart und trocken klingt. Kaum arbeitet sie mit Farben, gießt expressiv den Text in Klang. Wenig besser ist es um Kohlhepps Tenor bestellt; die Stimme liegt nicht auf dem Atem, was zu unschönen gestoßenen Koloraturen und roh attackierten Spitzentönen führt, royale Souveränität klingt anders.

Alles läuft auf eine Scheinehe hinaus

Leicht enttäuscht der heimische Superstar Ana Durlovski; wie eingesponnen, befangen gestaltet sie besonders in der großen Szene im dritten Akt viel zu wenig, um ein Seelenbild entstehen zu lassen. Freier agierend, als Figur scharf umrissen und stimmlich noch gut in Form Helen Schneiderman, seit dreißig Jahren im Ensemble, als Lucilla, die rechtzeitig mit Lucio Veros Vertrautem Aniceto (Igor Durlovski) anbandelt, da das ja eh auf eine Scheinehe mit seinem Kumpan Lucio hinausläuft. Als Figur gelungen der Flavio, bis zum mahlenden Kiefer kerlig gespielt von Catriona Smith, deren Sopran allerdings längst allen Glanz und Fokus verloren hat und in der Intonation mehr als einmal danebenliegt.

Im Finale verweht es diese zufällig Zusammengekommenen wieder, wie in Trance taumeln sie davon, ihre Spielklamotten abstreifend – von wegen lieto fine. Ein etwas abgeschabter Regiekniff, wenn auch als Bild nicht ohne Wirkung. Das lag an dem Gegendruck der Musik, die in dieser durchlöcherten Apotheose erstaunlich progressiv wirkt und die Gabriele Ferro und das Staatsorchester lebendig, wenn auch nicht unbedingt höchst authentisch, anfüttern. Ein erstes Wort, bestimmt nicht das letzte zu Niccolò Jommellis „Il Vologeso“ auf der Bühne. Große Begeisterung für Sänger und Musiker, paritätisch Bravo und Buh für das Inszenierungs-Trio.

Vorstellungen
19., 22. Februar, 9., 17., 22., 25., 30. Mai, 4. Juni