Sie und Ihr Beitrag in der "Welt" wurden scharf kritisiert. Haben Sie mit dieser Art der Aufregung gerechnet?


Nein, ich dachte, die Diskussion sei weiter. Über den moralischen Rigorismus, der da über mich hereingebrochen ist, bin ich etwas erstaunt gewesen, weil er uns nicht weiterhilft. Ich glaube nicht, dass dieser Rigorismus und dass dieses Drohen mit noch höheren Strafen und das Gieren nach möglichst hohen finanziellen Entschädigungen ein sinnvoller Weg ist, mit Pädophilen umzugehen.

Der Soziologe Gerhard Amend hat Sie nach Ihrem Beitrag quasi ferndiagnostiziert...


... Ja, er hat mich zu einem besonders typischen Opfer erklärt - zu jemandem, der auch nach vierzig Jahren noch ein Opfersyndrom hat und die Täter entlasten will. Das ist absolut nicht der Fall. Ich möchte nur unterscheiden zwischen den verschiedenen Formen von Gewalt, die Menschen angetan werden. Und da habe ich keine extreme Form von Gewalt erlebt, sondern eine erotische Grenzüberschreitung, die zwar bei mir für große Verwirrung gesorgt hat, der ich aber heute keine zu große Bedeutung mehr beimessen möchte. Ich muss nicht das ewige Opfer sein. Und schon gar nicht will man diesen Status von einem ferndiagnostischen Kurpfuscher zugesprochen bekommen.

Sie haben geschrieben, dass die Abschaffung der Verjährungsfristen Ihrer Ansicht nach kein angemessener Umgang mit Pädophilen wäre. Was wäre denn Ihrer Ansicht nach ein angemessener Umgang?


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Natürlich muss man die Pädophilen von den Kindern fernhalten, das ist sonnenklar. Aber so einfach ist das nicht. Wer ist versteckt pädophil und beginnt im Laufe seiner pädagogischen Laufbahn irgendwann die Neigung auszuleben? Wie will man den vorher schon erkennen? Man muss Pädophilen Hilfe anbieten. Sie müssen eine Möglichkeit finden, ihr Leben und ihre Neigungen zu gestalten, ohne anderen Menschen Schaden zuzufügen. Alle reden nur vom Bestrafen, aber kaum jemand ist bereit, das Übel an der Wurzel zu packen, vielleicht auch, weil diese Wurzel leider nicht so einfach zu greifen und schon gar nicht mit Strafgesetzen zu bekämpfen ist. Bei Pädophilen handelt es sich um eine bestimmte Triebstruktur, die man sich nicht aussucht. Den Pädophilen mit gutem Gewissen wird man kaum finden. Es sollten sich also Experten mit der Frage befassen, welche Möglichkeiten Pädophile haben, ihr Leben zu gestalten, ohne dass sie Kindern Schaden zufügen.

Welche Möglichkeiten?


Es gibt viele Möglichkeiten. Ich habe kein Modell entwickelt und bin kein Experte für derartige Fragen. Wenn man Drogenabhängigen auf Kosten der Gesellschaft Ersatzstoffe aushändigt, dann wird man bei triebabhängigen Menschen zumindest darüber nachdenken dürfen, ob es nicht auch in diesen Fällen sinnvolle Ersatzbefriedigungen gibt. Ich will einen Diskussionsprozess in Gang bringen, der anders läuft, als über Strafmaßnahmen nachzudenken.

Letzte Frage: Sie haben in Thailand den Tsunami überlebt. Leben Sie seitdem anders?


Nein. Das Leben hat einen anderen Geschmack bekommen, aber ich lebe nicht anders. Ich weiß jetzt in jedem Augenblick um die Hinfälligkeit, um die Sterblichkeit, ich mache mir keine Illusionen.