Sollte Primark Karstadt-Nachfolger werden, dürften die Tage des Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz als Oase der Ruhe mitten in der Innenstadt gezählt sein. Dann verwandeln Vierzigtonner den Platz in eine Logistikstraße.

Stuttgart - Die Stuttgarter Innenstadt ist eine wundersame Aneinanderreihung von Baugruben und städtebaulichen Sündenfällen. Eben noch im begehbaren Wimmelbild Königstraße zwischen Dauershoppern, befindet man sich im nächsten Moment unterhalb von Karstadt auf einer Betonoase der Ruhe, dem Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz. Von der Fressgasse genannten Schulstraße weht eine steife Brise herüber. Die Lüftung der Nordsee trägt das Aroma von Backfisch herbei. Beim Einzelhändler Objectz gibt es Plastik-Flamingos für den heimischen Garten. Der Bangkok Express verspricht die weite Welt. Einzig hübscher Farbtupfer sind die orange-farbenen Sonnenschirme der Kaffeebar „8 days a week“, die im Hinterhof der Königstraße dem Trend zum Filterkaffee huldigt sowie Bioeis und einen sehr vorzeigbaren Espresso im Angebot hat.

 

Alle Versuche, den Platz zu beleben, sind gescheitert. 1998 hatte der ehemalige Stadtrat Michael Kienzle (Grüne) den mutigsten Vorstoß gewagt. Zum 300. Geburtstag von Joseph Süß Oppenheimer, der als drastischster Justizirrtum in der Geschichte Württembergs und später noch als Opfer der NS-Propaganda in die Historie eingegangen ist, wurde der Platz nach Oppenheimer benannt. In einem Festakt weihte vor 17 Jahren der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, den Platz ein. „Heute sieht es die jüdische Gemeinde in ganz Deutschland kritisch, dass sich der Oppenheimer-Platz in einen Hinterhof verwandelt hat. Dass Stuttgart ausgerechnet diesen Platz nach einem Justizopfer benannt hat, das nie rehabilitiert wurde, wird als zweite Schmähung verstanden“, sagt Altstadtrat Kienzle, der sich als Vorsitzender der Stiftung Geißstraße bis heute für eine Belebung des Platzes einsetzt.

Lieferschneise für monströse Logistik?

Mit Blick auf den Handel steht der Platz nun endgültig am Scheideweg zwischen der Lieferschneise für die Logistik einer Primark-Filiale im alten Karstadtgebäude oder einer zentralen Oase für individuellen Einzelhandel. Shops der irischen Modekette sind 24-Stunden-Betriebe. Täglich müssen teils mehr als 600 Kartons neue Ware angeliefert werden, um die jugendliche Gier nach billiger Mode befriedigen zu können. Das entspricht der Ladung eines Vierzigtonners. Die Belieferung für eine Filiale an der Königstraße müsste über den Oppenheimer-Platz laufen. Ob sich Cafés mit Sonnenschirmen oder kleine Läden abseits des Mainstream an einer Lastwagenschneise halten können und wollen, scheint fraglich.