Die Münchner lieben ihren riesigen Volkspark mitten in der Stadt. Graf Rumford hat vor 225 Jahren den Grundstein für den Englischen Garten gelegt. Ein Denkmal erinnert an ihn. Doch wer war der Selfmademan aus USA, der vor 200 Jahren gestorben ist?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Als heuer im Mai die Freiluftsaison anhob, hatte sich das freistaatliche Finanzministerium, das nicht nur übers Münchner Hofbräuhaus, Bayerns Schlösser und die schöne Seeschifffahrt gebietet, sondern dem auch noch der Englische Garten unterstellt ist, zum 225-Jahr-Jubiläum der Anlage eine Speisung der besonderen Art ausgedacht: am Chinesischen Turm gab es Rumfordsuppe, vorgekostet vom Chef der Behörde, Markus Söder, und zwar kostenlos, wie es im Sinne des Erfinders gewesen war.

 

Hier nämlich, im damals noch sogenannten Militärgarten am Schwabinger Bach, sollten sich laut Plan des Amerikaners Sir Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford, von 1789 an die Bürger der Stadt und die Soldaten des Landes näherkommen, mitunter auch über einem Napf Suppe, deren Rezeptur ebenfalls der amerikanische Graf in Wittelsbacher Diensten erdacht hatte: zwei Viertel Perlgraupen, zwei Viertel Erbsen. Dazu Erdäpfel, fein zerriebene Brotstücke, 24 Maß saures Bier und doppelt so viele Maß Wasser. Umrühren, sämig kochen, würzen, fertig.

Graf Rumford hat auch eine Armensuppe erfunden

Das Finanzministerium hatte, muss man sagen, einen ordentlichen Caterer beauftragt; das Ergebnis dürfte um Etliches feiner im Geschmack gewesen sein als anno 1789. Gleichwohl ließ sich bei den meisten Gästen auch über dem Verzehr der Suppe nicht klären, wer nun dieser Graf Rumford eigentlich gewesen sei. München hat, was ihn betrifft, zwar ein nicht zu übersehendes Denkmal auf der Maximilianstraße errichtet, doch kennen tut man ihn kaum.

Wem also in Bayern ein „Mia san mia“ entgegenschallt, was ja jederzeit passieren kann, mag demnächst gewitzt daran erinnern, dass die Stadt einige ihrer Hotspots, darunter den Englischen Garten, allemal Zuagroasten verdankt: vorneweg Carl Theodor von der Pfalz und Graf Rumford, geboren 1753 in North Woburn, unweit Boston. Ja, man kann sogar noch weiter gehen: ohne Carl Theodor von der Pfalz kein Bayern in heutiger Gestalt. Solche steilen Thesen wird man, am Biertisch zumal, natürlich erklären müssen. Also wie folgt:

Carl Theodor verstand sich mehr als freundlicher Künstler

Im Jahre 1777 starb mit Max III. Joseph die altbayerische Linie der Wittelsbacher aus. Gemäß der Folgeregelung ging das Erbe an Carl Theodor von der Pfalz, der freilich mit Bayern zunächst nicht viel im Sinn hatte. Nur zu gerne hätte er es bei den Österreichern eingetauscht gegen Belgien – und somit eine hübsche Linie von Besitztümern von Mannheim über Düsseldorf bis Brüssel herstellen können. Allerdings behagte der Plan weder den Preußen noch den Habsburgern. Bayern hatte resultativ Glück: es bekam nicht nur einen ausgebildeten Wissenschaftler, sondern auch einen wirklichen Ästheten als Thronfolger.

Carl Theodor verstand sich weniger als Herrscher denn als freundlicher Künstler. Dass München eine prächtige, sich der Welt öffnende Residenzstadt wurde, ist ziemlich allein ihm zu verdanken. Ein Selfmademan wie Carl Theodor war auch Benjamin Thompson, vaterlos aufgewachsen, früh Lehrer geworden und ausgestattet mit einer besonderen Witterung für den sozialen Aufstieg.

Am Anfang stand die Reform der bayerischen Armee

Was eine Heirat mit einer viel älteren Frau aus besseren Kreisen noch nicht einbrachte, bewirkte ein Wechsel der Kontinente: nachdem sich Thompson im Vorfeld des Unabhängigkeitskrieges mit den Engländern arrangiert hatte, machte er in London Karriere; 1780 wird er Staatssekretär für die amerikanischen Kolonien. Noch einmal aber wechselt Thompson die Farben und stellt sich wegen besserer Aussichten in den Dienst des bayerischen Kurfürsten: Carl Theodor konnte jemanden brauchen, der die Reform der Armee vorantrieb.

Thompson ging ans Werk. Er bekam es zu tun mit schlecht ausgebildeten, schlecht ernährten und schlecht bezahlten Männern, die ihren Ohren kaum trauten, als sie hörten, dass sie sich zur Regeneration mit Gartenarbeit befassen sollten. Am Schwabinger Bach ließ Thompson Gemüsefelder anlegen, erfand fürs Heer eine Vorform der heutigen Thermounterwäsche, konstruierte nebenher einen Energie sparenden Küchenherd und propagierte unablässig den Wert der in Bayern zu dieser Zeit noch nicht besonders beliebten Kartoffel. Thompson, 1790 zum Grafen Rumford geadelt, konnte sich praktischerweise selber ressortübergreifend zuarbeiten: nacheinander besetzte er die Posten des Oberkommandierenden der Armee, des Kriegsministers und des Polizeiministers. Auch hier erfand er Zukunftsweisendes, nämlich den Meldezettel – und führte nebenbei die Polizeistunde ein.

Die Münchner waren erst einmal skeptisch

Seiner Idee, den Bürger zum Flanieren in eine künstlich gestaltete Naturlandschaft zu bringen, begegneten die Münchner freilich mit Skepsis. Erst als ihnen der große Landschaftsarchitekt Friedrich von Sckell, in Schwetzingen ausgebildet, also ebenfalls ein Immigrant, von 1804 an den Englischen Garten traulicher bepflanzte, betrachteten sie ihn allmählich als den ihren. Sckell persönlich wurde ein richtiger Münchner: den einfachen Behaglichkeiten des Lebens gegenüber aufgeschlossen.

Graf Rumford hingegen blieb ein Ruheloser. Ein Angebot der USA, eine Militärakademie aufzubauen, aus der später West Point werden sollte, schlug er aus. Stattdessen ließ er sich in Paris nieder, heiratete noch mal, wurde wiederum nicht glücklich und widmete sich fortan nur noch seinen Erfindungen. Sein umfangreiches Erbe stiftete der Autodidakt auf dem Gebiet der Physik und Mathematik der Universität Harvard, wo er vormals gerne erfolgreicher Student gewesen wäre. Benjamin Thompson, Graf Rumford, starb am 21. August 1814 in Auteuil bei Paris.