Die Krise hat die Erwerbslosenquote in Europa in nie gekannte Höhen getrieben. Betroffen sind vor allem junge Leute. Die Politik versucht gegenzusteuern, um eine soziale Explosion zu verhindern. Doch es dauert, bis die Programme wirken.

Brüssel - Viele, viele Stunden hat Österreichs Finanzministerin Maria Fekter schon mit Rettungsschirmen, Hilfsmilliarden und neuen Finanzaufsichtsstrukturen zugebracht. Und trotzdem hält sie „massive Anstrengungen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit für noch wichtiger als die Bankenstabilität“. Von ihren EU-Kollegen fordert die 57-Jährige kürzlich im Gespräch mit der StZ noch mehr Engagement: „Wir müssen dringend etwas tun, damit uns nicht eine ganze Generation verloren geht.“

 

Die Zahlen sind tatsächlich bedrückend. Insgesamt 26,3 Millionen Männer und Frauen sind derzeit in der Europäischen Union arbeitslos gemeldet, was einer Zunahme binnen Jahresfrist von knapp zwei Millionen und einer Quote von 10,9 Prozent entspricht. Überproportional stark sind junge Erwachsene unter 25 Jahren in dieser Statistik vertreten. Die EU-Behörde Eurostat verzeichnet 5,6 Millionen Arbeitslose – das sind 23,5 der Erwerbsfähigen in diesem Alter.

In Griechenland und Spanien hat die Jugendarbeitslosenquote schockierende Sphären erreicht

Dabei senken die vergleichsweise guten Zahlen im einstelligen Prozentbereich aus Deutschland und Österreich den Schnitt noch deutlich nach unten. In Griechenland und Spanien hat die Jugendarbeitslosenquote mittlerweile schockierende 58 beziehungsweise 55 Prozent erreicht – das schon hohe Vorkrisenniveau hat sich mehr als verdoppelt. In Portugal (38 Prozent) und Italien (37) sieht es nur relativ gesehen etwas besser aus. Der Blick auf die absoluten Zahlen beispielsweise in Spanien lässt Rückschlüsse auf die Ausweichstrategien zu. So waren Eurostat zufolge im Februar vorigen Jahres 936 000 junge Spanier auf Arbeitssuche, ein Jahr später „nur“ noch 932 000 – trotzdem stieg die Quote um fünf Prozentpunkte. Das bedeutet umgerechnet nichts anderes, als dass die Gesamtheit der erwerbssuchenden Jungen von 1,83 Millionen auf 1,67 Millionen zurückgegangen ist: Innerhalb eines Jahres haben damit gut 160 000 junge Spanier wieder bei den Eltern Unterschlupf gesucht, ein Studium begonnen oder sich ins Ausland aufgemacht.

Die Förderung der Arbeitnehmermobilität gehört neben dem bisher erfolglosen Versuch, die Eurozone aus der Rezession herauszuführen, zu den wichtigsten Strategien der EU-Staaten, von denen manche auch Arbeitskräfte suchen. „Deutschland versucht aktiv, Arbeitnehmer aus Italien, Spanien oder anderen Krisenländern anzuwerben“, lobt der EU-Sozialkommissar Laszlo Andor. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Hessen gibt es eigene Initiativen.

Sechs Milliarden Euro stehen in der nächsten EU-Haushaltsperiode zur Bekämpfung des Problems bereit

Andors neuer Gesetzesvorschlag, den er jüngst präsentierte, soll nun bewirken, dass die in den europäischen Verträgen garantierte Freizügigkeit auch in der Praxis existiert und Neuankömmlinge nicht an bürokratischen Hürden scheitern oder bei der Entlohnung diskriminiert werden. Dazu müssen die Mitgliedstaaten, sofern sie im Ministerrat und auch die Europaparlamentarier zustimmen, nationale Informationsstellen für Arbeitswillige aus dem europäischen Ausland einrichten. Zudem sollen Gewerkschaften oder andere Organisationen das Recht bekommen, diese vor Gericht oder Behörden zu vertreten.

Bereits in Arbeit ist eine Überarbeitung des europäischen Arbeitssuchsystems Eures, dem nationale Ämter und Agenturen zuliefern. 1,4 Millionen über Europa verteilte Stellenangebote finden sich dort derzeit. Andors Ziel ist „ein echter EU-Arbeitsmarkt“.

Erstmals gibt es klare Leitlinien, wie dieses Geld zur Förderung der jungen Arbeitslosen eingesetzt werden soll

Die wichtigsten Gegenmaßnahmen, um der Misere Herr zu werden, setzen vor Ort an. Sechs Milliarden Euro stehen in der nächsten EU-Haushaltsperiode von 2014 bis 2020 zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bereit. Geld für Projekte aus diesem Topf können Regionen beantragen, in denen mehr als ein Viertel der Jugend ohne Job ist. Die EU-Kommission ist angesichts zahlreicher Wortmeldungen, wonach die Summe nicht reicht, zudem „bereit, substanzielle Finanzzuweisungen aus dem Europäischen Sozialfonds und anderen EU-Strukturfonds zur Verfügung zu stellen“.

Die österreichische Ministerin Fekter warnt angesichts der nun anstehenden Geldvergabe aus den neu gefüllten Töpfen, dass nicht automatisch jene Lobbyisten erfolgreich sein dürften, deren Projekte bisher schon gefördert wurden: „Es darf kein EU-Geld fließen, ohne dass die Frage der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mit berücksichtigt wurde.“Erstmals gibt es aber immerhin klare Leitlinien, wie dieses Geld zur Förderung der jungen Arbeitslosen eingesetzt werden soll – die sogenannte Jugendgarantie: Nach spätestens vier Monaten Arbeitslosigkeit oder dem Verlassen der Schule muss einem jungen Erwachsenen ein Angebot für eine anspruchsvolle Beschäftigung oder Ausbildung gemacht werden. Zwar haben sich das Europaparlament und der Ministerrat in Rekordzeit auf diese „Empfehlung“ verständigt, entsprechend drohen bei Nichteinhaltung allerdings auch keine Sanktionen.

Gute Erfahrungen mit der Jugendgarantie haben schon Finnland und Österreich gemacht

Soll die Empfehlung ernst genommen werden, kostet das viel Geld: Die Internationale Arbeitsorganisation geht allein für die 17 Länder der Eurozone von einem jährlichen Finanzbedarf von 21 Milliarden Euro aus – die Kosten der Jugendarbeitslosigkeit freilich werden mit mehr als hundert Milliarden Euro im Jahr beziffert.

Zu den konkreten Praxisbeispielen, die im Zuge der Jugendgarantie jetzt umgesetzt werden sollen, gehören Lohnkostenzuschüsse oder die Übernahme anderer Kosten für Unternehmen, die arbeitslose Jugendliche anstellen. Die EU-Kommission nennt auch die direkte Subventionierung von Ausbildungs- oder Praktikumsstellen. Auch der Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land könnte gefördert werden, wenn dort eine passende Stelle frei ist.

Gute Erfahrungen mit der Jugendgarantie haben schon Finnland und Österreich gemacht. In der Alpenrepublik gibt es wie in Deutschland ein duales Ausbildungssystem, für das sich immer mehr EU-Partner interessieren. Und es gibt höhere Schulen für alle beruflichen Sparten. „Die Jugendlichen erhalten dort eine Berufsausbildung und gleichzeitig den Zugang zur Universität“, sagt Ministerin Fekter: „Die Absolventen gehen weg wie warme Semmeln – nicht nur bei uns, sondern auch in den Nachbarländern.“ Europaweit gesehen ist das aber leider noch Zukunftsmusik.