Jörg Freitag ist im Jugendhaus Komma in Esslingen für Populärkultur zuständig. Neben namhaften Bands, die er nach Esslingen holt, möchte er vor allem in der Region junge Bands fördern. Der Erfolg gibt ihm recht.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Esslingen ist das schönere Stuttgart. Zu diesem Schluss kommt man spätestens, wenn man nach der Betrachtung des herrlichen Fachwerkkitsches in der Innenstadt der Zwiebelstadt mit Jörg Freitag in dessen Spielstätte, dem Jugendhaus Komma, im Hof in der spätsommerlichen Sonne sitzt. Während Freitag druckreif von den mehr als tausend Bands spricht, die seit 1998 im Komma aufgetreten sind, plätschert draußen der Wehrneckarkanal romantisch vor sich hin. Motto: Subkultur meets Mini-Venedig.

 

Im Komma finden sich Poster vom Oster-Workshop zum Thema Eierbemalen neben einem Flugblatt über die Grenzen antifaschistischer Blockaden und einem Hinweis auf die Veranstaltung „Kollateralschaden“, die das Komma kürzlich mit der Villa Merkel veranstaltet hat.

Dass die Populärkultur im Komma so ernst genommen wird, ist das Verdienst von Jörg Freitag. Zum Interview serviert der 42-Jährige politisch korrekte Fritz-Limonade („Für Veganer geeignet“) und den Hipster-Treibstoff Club Mate, um anschließend hellwach über Kulturarbeit in der Region zu sprechen: „Ich wohne ganz bewusst in Esslingen, weil hier alles überschaubar ist, suche aber auch die Nähe zur Großstadt Stuttgart, weil ich urbane Kulturarbeit in einem Großraum machen will.“

Seine Spielstätte, die er seit 2002 leitet, funktioniert auf mehreren Ebenen. Zum einen bucht er Bands nach Esslingen, die sonst nicht den Weg an den Neckar gefunden hätten, und übernimmt so eine ähnlich wichtige Rolle für die popkulturelle Nahversorgung Stuttgarts wie etwas auch die Manufaktur in Schorndorf. Zum anderen bietet er jungen Bands aus Esslingen oder Stuttgart eine Bühne zum Experimentieren. „Da oben haben die Nerven ihren Proberaum gehabt“, zeigt Freitag über den Hof des Kommas. Die Nerven aus Stuttgart werden überregional für ihren „Gegenwartsschrammelpop“ („Spex“) gefeiert. Auch die derzeit ähnlich gehypte Stuttgarter Band Die Selektion hat ihre ersten Gehversuche im Komma unternommen – das Bandmitglied Luca Gillian hat bei Freitag ein Praktikum absolviert.

Die Diplomarbeit verfasste er über Hip-Hop

In Franken geboren, wurde Freitag in Nürnberg popkulturell sozialisiert, wo er Sozialpädagogik studierte, „mit schwerer Tendenz zur Kulturarbeit“. Die Diplomarbeit verfasste er über Hip-Hop, gleichzeitig veranstaltete er Konzerte von den White Stripes oder Calexico, ließ den DJ-Derwisch Koze auflegen, machte Radio und jobbte am Staatstheater Nürnberg.

Nach seinem Studium landete er im Esslinger Komma. Dort arbeitet Freitag mit drei Kollegen zusammen und ist dabei für den Veranstaltungsbereich zuständig. Träger des Kommas ist der Kreisjugendring Esslingen, geleitet wird das Haus von Andreas Jacobsen, unterstützt wird die Einrichtung vom Esslinger Kulturamt.

Parallel zu seiner Arbeit im Komma absolvierte Freitag ein zweites Studium an der Fachhochschule in Esslingen. Der Inhalt: soziale Arbeit mit der Vertiefung Kulturarbeit. Für seine Abschlussarbeit zum zauberhaften Thema „Dubstep als jugendliche Vergemeinschaftung in der Region Stuttgart“ führte er Interviews in den Clubs Rocker 33 und im Hype Club. „Damals war die Reihe ,Stuttgart Kaputtraven‘ groß. Mich hat interessiert, wie solche Szenen entstehen.“ Auch als DJ ist Freitag tätig. In Stuttgart legt er auf Partys auf, in der nagelneuen Bar Dresden genauso wie beim Christopher Street Day.

Ein höherer Frauenanteil wäre schön

Sein Fokus liegt aber eindeutig auf Esslingen. Die Philosophie des Kommas: „Un- sere Veranstaltungen sind gesellschaftspolitisch, wir arbeiten gendersensibel, Geschlecht und Sexualität spielen bei uns eine Rolle.“ Da auch die Musikszene männerdominiert sei – „männliche Veranstalter, Booker, Agenturmitarbeiter haben das Sagen“ –, bemüht sich Freitag bei seinen Veranstaltungen um einen Frauenanteil. Zudem liegt ihm die Förderung von jungen Bands am Herzen, die er nicht Nachwuchsbands nennt. „Auch der Begriff der Vorband existiert bei uns nicht. Bei uns spielen zwei Bands, die gleich gut betreut werden.“

Für seinen Geschmack könnte das musikalische Angebot in Stuttgart anspruchsvoller sein. „Man muss die Leute stärker für Qualität sensibilisieren, viele A-Klasse-Bands spielen in Stuttgart nicht.“ Politische Veranstaltungen gebe es in den Clubs kaum. „Ich finde Hedonismus super, möchte darüber hinaus aber politisch etwas mitteilen“, so Freitag über seinen Anspruch.

Esslingen ist das schönere Stuttgart

Was Jörg Freitag unter Anspruch versteht, wird in Esslingen deutlich. Kürzlich veranstaltete er mit der Villa Merkel im Merkelpark ein Open-Air-Festival, bei dem unter anderem der DJ und Dozent Manuel Bürger nicht nur Platten aus sämtlichen House-Dekaden auflegte, sondern seine Reise durch die Disco-Geschichte während des DJ-Sets an einer Flip Chart illustrierte. Das Publikum lernte und tanzte. Was möchte Freitag in Esslingen künftig noch bewegen? „Auf der Burg würde ich sehr gerne mal etwas veranstalten“, sagt Freitag. Zuzutrauen wäre es ihm, ohne Frage. Mit den Bands, die er bucht, sorgt er dafür, dass das Komma auf Konzertplakaten zwischen der Ruhrtriennale und einem Berliner Club auftaucht. Esslingen ist also auch in dieser Hinsicht mitunter das schönere Stuttgart.