Einst vergnügten sich die Rennfahrer mit Zigaretten und Mädchen, beim Großen Preis von Deutschland in Hockenheim ist das undenkbar. Heute hat mancher Debütant nicht mal einen Führerschein – denn die Rennställe haben das Geheimnis ewiger Jugend entdeckt.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Hockenheim - Zigarette gefällig? James Hunt hätte das Angebot kaum abgelehnt, der Lebemann (und Formel-1-Weltmeister 1976) war beileibe nicht der einzige Rennfahrer, der Verlockungen aller Art extrem aufgeschlossen gegenüberstand. Da tummelten sich am Garagenausgang nicht selten Mädchen in offenherziger Mode, die hofften, der Kerl aus dem Cockpit möge bitteschön einen nächtlichen Boxenstopp in ihrem Zimmer einlegen. Früher waren Formel-1-Fahrer noch harte Männer und echte Kerle, meint zumindest Eddie Irvine. „Früher war alles besser“, knurrte der einstige Teamkollege von Michael Schumacher unlängst, wobei festzuhalten ist, dass sich der Nordire selbstverständlich zur Spezies der coolen Burschen rechnet.

 

Früher mag im Motorsport nicht unbedingt alles besser gewesen sein; ganz sicher aber war alles anders. Heute sind die Playboys im Rennoverall ausgestorben, nicht einer stolziert beim Großen Preis von Deutschland mit angespannten Brustmuskeln und Fluppe im Mundwinkel durchs Fahrerlager. Und Boxenluder sucht man auch vergeblich. In der Formel 1 anno 2016 regieren in Hockenheim die Gameboys. Max Verstappen von Red Bull ist gerade 18 Jahre alt, Carlos Sainz (Toro Rosso) und Pascal Wehrlein (Manor) sind 21 und Daniil Kwjat (Toro Rosso) ist mit 22 Lenzen kaum älter.

Räikkönens Debüt sorgte für Empörung

Kimi Räikkönen war auch 21, als er 2001 sein Debüt in der sogenannten Königsklasse gab. Als der schmächtige Finne zum Sauber-Piloten gemacht und in die Formel 1 befördert wurde, hätte man allerdings meinen können, eine Frau solle zum Papst gewählt werden. Empörung, Bedenken, Vorbehalte wurden laut. Der Bursche hatte zuvor 20 Rennen in der Formel Renault bestritten, davor hatte der Knirps bloß Karts chauffiert. Das könne nicht gut gehen, unkten die altgedienten Experten, und so mancher Fahrer mag mit Bauchgrimmen beim Großen Preis von Australien ins Cockpit geklettert sein. All diese Befürchtungen waren unbegründet. Kimi Räikkönen machte nicht als Crashpilot auf sich aufmerksam, sondern als ebenso schweigsamer wie schneller Rennfahrer, der 2007 im Ferrari sogar Weltmeister geworden war.

Max Verstappen war 17 Jahre und 166 Tage alt, er hatte erst eine Saison in der Formel 3 hinter sich, als er im März 2015 zum ersten Mal in Melbourne in der Formel-1-Startaufstellung parkte. Der Niederländer hatte die Superlizenz, aber in seiner Heimat hätte er nicht einmal im Auto zum Bäcker fahren können. Mit 17 gibt’s keinen Führerschein. Doch die Aufregung hielt sich in Grenzen; der eine oder andere bemängelte die fehlende Volljährigkeit, in seinem Auftreten stand Max Verstappen den arrivierten Fahrern in Nichts nach. Sein damaliger Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost war überzeugt: „Das Experiment wird ganz sicher funktionieren.“ Der Österreicher hat Recht behalten, Verstappen fährt mittlerweile fürs A-Team Red Bull, er ist nicht nur der bis dato jüngste Grand-Prix-Starter, sondern seit dem 15. Mai 2016 in Barcelona auch der jüngste Fahrer, der einen Großen Preis gewonnen hat.

Irvine rümpft die Nase

Der Trend in der Formel 1 geht zum Teenager; diese These mag etwas überzogen sein – aber die Debütanten in der weltweit prestigereichsten Rennserie werden immer jünger. Eddie Irvine ist nicht der Einzige, der darüber die Nase rümpft. „Die Formel 1 sollte die absolute Königsklasse sein“, sagt Christian Danner, „mit Autos, die man nur am Limit bewegen kann, wenn man ein wahrer Könner ist.“ Die Conclusio des Münchners: Wenn ein Minderjähriger nach ein paar Formel-3-Starts damit klarkommt, müssten die Menschen wohl annehmen, dass dies nichts Besonderes sei. Auch die Szenestars Fernando Alonso, Lewis Hamilton und Sebastian Vettel können Danners Gedanken einiges abgewinnen. „Natürlich ist die Formel 1 sehr viel einfacher geworden“, meint Alonso. Durch Regeln sind die Kurvengeschwindigkeiten gesunken, die körperliche Belastung ist nicht mehr so hoch; zudem erleichtern manche technische Einstellungen das Fahren. „Nicht zuletzt sollte ein Fahrer auch eine gewisse menschliche Reife ausstrahlen“, betont Danner, der zwischen 1985 und 1989 insgesamt 36 Starts in der Formel 1 erlebt hat – und der deshalb fraglos auch als harter Kerl gelten darf.

Erscheinen die Neueinsteiger zwar äußerlich wie Milchbubis, rennfahrerisch haben sie es faustdick hinter den Ohren. Weil sie schon Kartrennen gefahren sind, als Gleichaltrige noch auf dem Bobbycar saßen – in den Generationen Danner und Irvine stieg mancher Debütant erst mit zwölf aufs Kart. Weil die Teenager von heute sämtliche Strecken von Computerspielen kennen und sie sich so in die Szene hineingefühlt haben. „Diese Videogames tragen schon dazu bei“, sagt der einstige Vizeweltmeister David Coulthard, „ich sehe es bei meinem Sohn – wenn er crasht, drückt er einfach auf Neustart und weiter geht’s.“

Playstation und Xbox helfen

Playstation und Xbox mögen helfen, der größte Unterschied zur Ära James Hunt liegt in der Struktur. Förderprogramm heißt das Geheimnis ewiger Jugend. Mercedes, Red Bull, Ferrari – jeder Rennstall, der etwas auf sich hält, bildet Nachwuchs aus. So lernen die Kids, die sich in mehrstufigen Auswahlverfahren durchgesetzt haben, schon früh alles Nötige über Technik, Strategie, Medien und Teamarbeit. Die Karrierepläne werden akribisch abgearbeitet. „Heute sind es sehr professionelle Rennställe in den Nachwuchsklassen“, sagt Coulthard, „das war früher anders.“ Mit den Programmen wird eher gewährleistet, dass die Besten ganz nach oben kommen – bei Ausbildungskosten von mehr als einer Million Euro bis zur Formel-1-Reife konnte es früher passieren, dass ein Supertalent wegen fehlender finanzieller Mittel aufgeben musste. Michael Schumacher benötigte als Teenager einige Sponsoren, sonst wäre er wohl nie in der Formel 1 gelandet.

Kein Wunder, dass in der Formel 1 häufiger jungenhafte Fahrer auftauchen; manche verabschieden sich bald wieder, die allergrößten Talente fahren aber irgendwann vorne mit. Max Verstappen trauen viele das zu, David Coulthard zählt dazu. „Wie Ayrton Senna ist er von der Formel 3 in die Formel 1 aufgestiegen“, sagt der Schotte, „er ist eine echte Ausnahme.“ Formel-1-Legende Senna war bei seinem Debüt exakt 24 Jahre und vier Tage alt – in diesem Alter könnte der Niederländer schon Weltmeister sein. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.formel-1-grand-prix-von-spanien-verstappen-juengster-sieger-mercedes-duo-raus.22cbc3e3-6225-4445-b7d5-01fa11509dc9.html