In Heslach steht die landesweit größte Einrichtung für junge Schwerstkranke. Der Bedarf an Pflegeplätzen ist so groß, das die Junge Pflege erweitert wurde. Eine der Betroffenen ist Imke Heeren – die MS-kranke junge Frau kam im Alter von 26 Jahren ins Heim.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Früher mochte Imke Heeren den Sommer. Das hat die Krankheit geändert. An heißen Tagen, sagt sie, sei die Müdigkeit besonders schlimm. Vor zehn Jahren – Imke Heeren war gerade volljährige geworden – wurde bei ihr Multiple Sklerose (MS), diagnostiziert. Die Schübe kamen schnell und heftig.

 

Andere in ihrem Alter haben gerade das Studium hinter sich, starten ins Berufsleben und gründen vielleicht eine Familie. Für Imke Heeren ist das alles nicht möglich. Die 28-Jährige kann sich schon länger nicht mehr selbst versorgen. Den Pferdeschwanz hat ihr eine Pflegekraft gebunden. Auch die Jeans, das T-Shirt und die Stoffturnschuhe von Converse, ihrer Lieblingsmarke, hat die Pflegerin der hübschen jungen Frau angezogen.

Nur Schwerstkranke leben hier

Seit zwei Jahren lebt Imke Heeren in der Abteilung Junge Pflege des Eigenbetriebs Leben und Wohnen im Mehrgenerationenhaus Heslach – als eine von 50 jungen Pflegebedürftigen in dem Haus. Es ist die größte Einrichtung dieser Art im Land. Nur Schwerstkranke leben hier, in der Regel sind sie zwischen 20 und 45 Jahre alt. Viele haben schwere neurologische Erkrankungen wie MS oder ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), andere leiden an der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose oder an schwersten Formen von Rheuma.

In den vergangenen Jahren ist die Junge Pflege in Heslach massiv erweitert worden. Bei der Einweihung des Hauses vor elf Jahren gab es in dem Bereich nur 24 Plätze. Der Einrichtungsleiter Andreas Weber verneint zwar nicht, dass sich mit der Jungen Pflege Geld verdienen lässt. Das sei aber nicht der Grund für die Erweiterung gewesen, sondern der große Bedarf. 26 Plätze für Senioren sind von 2008 bis heute sukzessive umgewidmet worden. „Wir haben sogar immer noch eine Warteliste“, sagt Weber. Allein an diesem Vormittag hätten innerhalb von einer Stunde drei Interessenten angerufen, denen er nichts anbieten konnte.

Die Krankheit der tausend Gesichter

Imke Heeren ist froh, dass sie das Zimmer in Heslach beziehen konnte. Zuvor war die junge Frau in einer Wohngruppe in Plieningen zusammen mit geistig Behinderten untergebracht. Dort hat sie sich nicht wohl gefühlt. „Ich habe trotz MS einen IQ von 128“, erzählt sie. Von ihrem Zimmer schaut sie auf die Böblinger Straße. Über ihrem Bett hängt eine abstrakte Bleistiftzeichnung in einem goldenen Rahmen. „Das Bild habe ich noch fertig bekommen, vor dem Tremor“, erzählt sie – bevor ihr Körper vor acht Jahren angefangen hat zu zittern, weil sich die Muskeln plötzlich zusammen ziehen. Es gibt viele Symptome von MS, die auch Krankheit der tausend Gesichter genannt wird .

„Ich hatte keine Wahl“

Während der eine die Kontrolle über seinen Körper verliert, spürt der andere keine motorischen Einschränkungen, baut jedoch geistig ab wie ein Dementer. „Es gibt alle möglichen Verläufe bei MS – und bei den leichten Verläufen bemerken Außenstehende gar nichts“, sagt Mechthild Zeh vom Landesverband Aktion Multiple Sklerose Erkrankter (Amsel). Oft könnten MS-Kranke mit der Diagnose sogar 20 bis 30 Jahre ganz ohne Beeinträchtigungen leben, berichtet Zeh. Schwierig ist es Andreas Weber zufolge für diejenigen, die zwar zu Hause nicht mehr klar kommen, aber in einem Pflegeheim überversorgt wären. Für sie gebe es keine Alternative

„Ich hoffe, dass die Medizin Fortschritte macht, es ist eine Qual mit dieser Krankheit“, sagt Imke Heeren. Für sie war es keine Frage, ob sie in ein Pflegeheim will. „Ich hatte keine Wahl“, sagt sie, zieht die Schultern hoch und lächelt. Mit dem Schicksal hadern, das hilft ihr nicht. Dabei fehlt ihr zu arbeiten und eigenes Geld zu verdienen. Die Ausbildung zur Erzieherin musste sie abbrechen. „Aber ich bin froh, hier zu sein.“

Ihr Zimmer in der Jungen Pflege hat sie sich individuell gestaltet. Sie hat Poster von Nirvana-Sänger Kurt Cobain aufgehängt und Fotos ihrer kleinen Nichte. Den übergroßen Fernseher schaltet sie nur selten an. „Ich sehe nur noch fünf Prozent – und es kommt nichts, was mich interessiert.“ Wenn sie alleine ist, hört sie viel Musik. Regelmäßig kommt auch ihr Kumpel Nico zu Besuch. Er hat sie schon mitgenommen zu seinen Freunden oder zum Eisessen. „Ich habe einen gesunden, besten Freund“, erzählt sie stolz. Auch in der Einrichtung hat sie Freunde, regelmäßig treffen sie sich draußen auf dem Flur. „Wir lachen viel zusammen“, sagt sie. Sie zieht die Beine hoch in ihrem Rollstuhl. „Das ist wichtig.“