Traditionsbewusste Patriarchen pochen auch im Südosten Europas auf den schönen Schein – und wollen notfalls betrogen sein. Die Chirurgie macht’s möglich. Auf dem Balkan steigt die Nachfrage nach wiederhergestellten Jungfernhäutchen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Der Trend geht auch auf dem Balkan zur Tradition – und den scheinbar guten alten Sitten. Das tatsächliche Leben sieht indes meist anders aus als von sittenstrengen Patriarchen erwünscht. Jungfräulich gehen auch in Südosteuropa die meisten Frauen kaum mehr in die Ehe. Doch im Notfall verhilft die Schönheitschirurgie zum schönen Schein: Auf dem Balkan boomt das Geschäft mit der Wiederherstellung von Jungfernhäutchen.

 

Nicht nur in mehrheitlich muslimischen Staaten wie Albanien, Bosnien und Herzegowina oder Kosovo, sondern auch in Serbien und Kroatien vermelden Schönheitschirurgen und Gynäkologen eine wachsende Nachfrage nach der delikaten, aber unkomplizierten Hymenrekonstruktion. Innerhalb 20 bis 45 Minuten werden die verbliebenen Reste des Jungfernhäutchens zusammengenäht. Zwischen 500 und 1000 Euro haben angehende Bräute für ihren erhofften Seelen- und Familienfrieden zu berappen.

Balkan-Machos wollen notfalls betrogen sein

Einer Frau, die sich vor den Folgen einer unblutigen Hochzeitsnacht und der Familie ihres Gatten fürchte, helfe er natürlich, sagt der Zagreber Schönheitschirurg Miroslav Kincl. Denn das Problem liege nicht an ihr, sondern an ihrem „primitiven Mann und dem Primitivismus“ ihrer Umgebung. In den 80er und 90er Jahren habe er den Eingriff vor allem bei Frauen „aus patriarchalischen Kreisen“ vorgenommen, berichtet der Belgrader Gynäkologe Dusan Potric. Ob zur Kaschierung von früheren Beziehungen und Abtreibungen oder um den Anforderungsprofil künftiger Ehemänner aus gutem Hause gerecht zu werden – mittlerweile sei die Hymenrekonstruktion fast schon zur Mode-Operation geworden: „In den vergangenen zwei bis drei Jahren habe ich alle Hände voll zu tun.“

Die Balkan-Machos wollen notfalls betrogen sein. Egal aus welchen Gründen Frauen Zuflucht zur operativen Wiederherstellung ihrer Jungfräulichkeit suchten, allen Patientinnen sei gemeinsam, „dass ihre Männer nicht wissen, dass sie mit einem künstlichen Jungfernhäutchen in die Ehe gehen“, konstatiert lakonisch die bosnische Zeitung „Euro Blic“.

Hymenrekonstruktion bietet keine Garantie für glückliche Zukunft

Die Konsumgesellschaft mache die Leute glauben, dass alles käuflich sei – vom schöneren Aussehen bis zur erneuerten Jungfräulichkeit, sagt die Belgrader Gynäkologin Mima Fazlagic, die bei der jungen Generation eine „völlige Veränderung der Werte“ ausmacht. Dazu kommt ein unverstellter Sexismus. Doch auch man sich das Hymen selbst mehrmals wiederherstellen lassen könne, biete diese Investition keineswegs die Garantie für eine glücklichere Zukunft: „Die findet sich tatsächlich nicht im Kauf eines neuen Jungfernhäutchens.“

Letztendlich gehe man mit einer „großen Lüge“ in die Ehe, gibt die Zagreber Sexualtherapeutin Natasa Barolin Belic zu bedenken. Sie empfiehlt, lieber die Partnerwahl zu überprüfen: „Was ist das für ein junger Mann, dem die Jungfräulichkeit in heutiger Zeit noch wichtig ist?“ Religiöse Gründe ließen sich für die Notwendigkeit einer Hymenrekonstruktion kaum ins Feld führen: „Wenn Sie an Gott glauben, weiß der ohnehin, was Sie tun.“