Am 25. Mai dürfen auch 16- und 17-Jährige bei der Kommunalwahl mitmachen. An der Eichendorff-Werkrealschule in Crailsheim haben sie die Stimmabgabe schon mal besprochen und geübt.

Crailsheim - „Qual der Wahl“ hat Klassenlehrer Rainer Zörlein an die Tafel geschrieben. „Was stellt man sich darunter vor?“, fragt der drahtige 61-Jährige in die Runde. Mehrere Hände schnellen nach oben. Domenic Hofmann, 16, kennt die Antwort selbstverständlich. Schließlich ist der hoch gewachsene Junge seit kurzem Jugendgemeinderat in Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall). Nach der Mittleren Reife wird er aufs Wirtschaftsgymnasium wechseln. Die Schule hat sein Interesse an Kommunalpolitik geweckt. Jetzt will er „von der Möglichkeit Gebrauch machen, etwas zu verändern“. Das klingt vielleicht ein bisschen gestelzt, aber es scheint ihm ernst zu sein.

 

Ernst ist es auch dem Rektor der Eichendorff-Werkrealschule mit seinem Anspruch, „die Schüler zu mündigen Bürgern zu erziehen“. Manfred Koch, 63, seit 33 Jahren Schulleiter, bekommt vor Begeisterung rote Backen beim Erzählen. „Uns war von Anfang an klar, dass wir die Schüler darauf hinführen müssen, wenn sie zum ersten Mal wählen sollen“, sagt er spontan.

Warum soll man wählen?

Das ist nicht überall so – einige Schulen hatten der Anfrage eines Unterrichtsbesuchs bei Erstwählern eine Abfuhr erteilt. Vielleicht weil es zum Thema gar keinen Unterricht gibt? Wer Engagement vorweisen kann, tut sich da natürlich leichter. Das hat sich offenbar auch bei den Eltern herumgesprochen: 62 Kinder sind für Klasse 5 der neuen Gemeinschaftsschule angemeldet, berichtet Koch mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. Ganztagsbetreuung bietet die Eichendorffschule bereits seit zwölf Jahren.

Für das erste Crailsheimer Jugendforum unter dem Motto „Was uns bewegt“ – Ende März stand ein Tag für alle Crailsheimer Schulen im Zeichen der Politik – haben Kochs Schüler Fragen erarbeitet, mit denen sie Landrat, Oberbürgermeister und Landtagsabgeordnete aller Parteien konfrontierten. Fragen wie: Wieso sollte man Ungebildete wählen lassen? Was sollte man alles über eine Partei wissen, damit man sie wählen kann? Oder auch ganz einfach: Warum sollte ich wählen?

Engagierte Bürger helfen

Landratsamt und Stadt haben sich für die Veranstaltung stark gemacht, Unterstützung kam von der Baden-Württemberg Stiftung, vom Landesjugendring und der Landeszentrale für politische Bildung. Zur Vorbereitung gab es in den Schulen Werkstattgespräche mit aktiven Crailsheimer Bürgern, um Jugendlichen die Möglichkeiten politischen Engagements nahe zu bringen. Die Rechnung ging für den leidenschaftlichen Pädagogen auf: „Die Schüler fühlen sich ernst genommen.“

Im Klassenzimmer verteilen ein Junge und ein Mädchen inzwischen Umschläge an alle. Rainer Zörlein hat sich für die Doppelstunde die Unterlagen der Gemeinderatswahl von 2009 besorgt. Heute sollen die 23 Schüler „zur Probe“ wählen. Zuvor hat der Lehrer auf einem Merkblatt noch einmal „Wichtige Hinweise für die Stimmabgabe“ zusammengefasst, die er abwechselnd vorlesen lässt: Wie viele Stimmen hast du? Wem kannst du deine Stimme geben? Wie gibst du deine Stimmen ab?

Dann gibt der Pädagoge den Startschuss: „Jetzt dürft ihr wählen, kumulieren und panaschieren, wie ihr wollt.“ Dass die Neuwählerinnen und Neuwähler in Baden-Württemberg mit dem Schwierigsten anfangen, was das deutsche Wahlrecht zu bieten hat, hält Rainer Zörlein für unproblematisch: „Die sind 16 und müssen doch in Mathematik oder Chemie auch komplizierte Sachen lernen!“

Viele ungültige Stimmen

Nach einiger Zeit sammelt ein Schüler die Stimmzettel ein. Dann werden für die Kontrolle und Auswertung drei Gruppen gebildet. „Bei uns waren viele Wahlzettel ungültig,“ berichtet Lena aus ihrem Team – zu viele Stimmen wurden abgegeben. In den anderen Gruppen gab es dagegen kaum oder gar keinen Ausreißer. „Habt ihr eine Erklärung?“, fragt der Lehrer sichtlich ratlos. Vielleicht haben manche die Sache nicht so ernst genommen, weil es ja nur eine Übung war, vermutet Lena. „Mit so vielen ungültigen Stimmen habe ich nicht gerechnet“, gibt der Pädagoge offen zu.

Bis zur Kommunalwahl am 25. Mai bleiben freilich noch einige Wochen, um die Jugendlichen mit den Feinheiten des baden-württembergischen Wahlsystems vertraut zu machen. Eine Zahl macht Hoffnung: Dem Innenministerium des Landes zufolge machte der Anteil der ungültigen Stimmen bei der zurück liegenden Wahl 2009 nur 3,2 Prozent aus.