Sieben renommierte Palliativmediziner – darunter der Stuttgarter Arzt Dietmar Beck – reichen Verfassungsbeschwerde ein. Ihre Arbeit sei nun in Teilen strafbar, kritisieren sie.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart/Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde von sieben renommierten Palliativmedizinern gegen das vom Bundestag im November 2015 beschlossene Sterbehilfegesetz angenommen. Der Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs regelt seit 10. Dezember 2015 die „Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Der Paragraf verletzt nach Auffassung der Mediziner ihre Gewissens- und Berufsfreiheit.

 

Die Ärzte argumentieren, dass das Gesetz ihre Arbeit mit Schwerstkranken unmöglich mache, wenn diese ihnen gegenüber den Gedanken der Selbsttötung äußerten und der Patient gestärkt in seinem Suizidgedanken aus dem Gespräch herausgehe. Laut Studien hat etwa ein Viertel der schwerstkranken Patienten phasenweise oder dauerhaft Selbstmordgedanken. Das Gesetz macht bei strenger Auslegung schon ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Gespräch darüber unmöglich, wollen sich die Ärzte nicht strafbar machen. Die Mediziner, die sich nun an das Karlsruher Gericht gewandt haben, wollen eine Klärung dieser rechtlichen Grauzone erreichen.

Auch ein Stuttgarter Arzt ist unzufrieden mit dem Gesetz

Mit der Neufassung des Strafgesetzparagrafen 217 im November 2015 wollte die Politik die Arbeit von professionellen Sterbehilfevereinen und -organisationen wie die des ehemaligen Hamburger Senators Roger Kusch unter Strafe stellen. In dem Gesetzestext heißt es deshalb, dass, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“, mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird.

Geschäftsmäßig im Sinn des Gesetzes und damit strafbar handeln aber unter Umständen auch Ärzte, weil sie aufgrund ihrer Überzeugung und ethischen Gesinnung in ähnlichen Fällen gleich handeln werden. Das ist laut der Filderstädter Fachanwältin für Medizinrecht, Petra Vetter, das Kennzeichen der Geschäftsmäßigkeit. Damit gleicht das Tun der Ärzte dem der Sterbehilfevereine. Vetter vertritt vier der Mediziner. Dazu gehört auch der Stuttgarter Arzt Dietmar Beck. Er ist Leiter des Palliative-Care-Teams, das seinen Sitz am Diakonieklinikum hat. Der 62-Jährige gilt als erfahrener Palliativmediziner.

Zu den Beschwerdeführern gehören zudem der Bocholter Tumorschmerztherapeut Benedikt Matenaer, Matthias Thöns aus Witten und Michael de Ridder. Thöns war Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags zur Sterbehilfe-Debatte. De Ridder ist Chefarzt der Rettungsstelle am Berliner Klinikum Am Urban und ebenfalls Palliativmediziner. Die drei werden von zwei renommierten Medizinrechtlern vertreten.

Offen ist laut einer Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts, ob es eine mündliche Verhandlung geben wird. Bis zum 28. Februar haben Verbände, Institutionen und Kirchen Zeit, zu der Beschwerde Stellung zu nehmen.