Juristen gibt es viele – auch solche mit hoher Qualifikation. An den Gerichten im Land spürt man aber immer mehr, dass der Beruf des Richters an Attraktivität verloren hat. Die Einstellungskriterien für Jungrichter hat die Justizverwaltung bereits abgesenkt.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Im Ressort des SPD-Justizministers Rainer Stickelberger werden derzeit, unter Einbeziehung von Gerichtsdirektoren und leitenden Justizbeamten aus dem ganzen Land, eifrig „Ideen“ gesammelt. Es gehe um die Frage, sagt ein Ministeriumssprecher, „wie wir noch besser werden können“ und wie man „den juristischen Nachwuchs noch besser von den Vorzügen des Justizdienstes überzeugen“ könne. Am Ende der Überlegungen solle ein „Personalgewinnungskonzept“ stehen.

 

Man kann das auch anders ausdrücken: der Justiz läuft der Nachwuchs davon, und keiner hat ein Rezept dagegen. Auch nicht Matthias Grewe, Direktor des Amtsgerichts Ravensburg und Sprecher des Vereins Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg. „Es wären genügend Leute da, die Richter werden könnten – aber sie interessieren sich nicht mehr für diesen Beruf“, konstatiert er. Vor allem große Anwaltskanzleien oder Unternehmen, die juristische Abteilungen unterhielten, zahlten erheblich besser. Die Folge werde bald sein, „dass das Justizministerium seine Stellen nicht mehr besetzen kann“.

Alle Stellen besetzt

So weit ist es laut dem Ministerium noch nicht. „Wir können noch alle Stellen besetzen“, heißt es in Stuttgart. Allerdings bezieht sich die Aussage auf 2014. Zugleich räumt Stickelbergs Sprecher ein, „dass wir die Einstellungsvoraussetzungen bei den Noten leicht abgesenkt haben“. Das heißt: die Besten sind von den Personalern in den Justizbehörden nicht mehr immer zu kriegen. Dieser Trend verstärkt sich offenbar rapide. Aus dem Landgericht Ulm verlautet beispielsweise, dass aktuell „der Markt leer gefegt“ sei. Kürzlich seien sogar, nachdem die Ausschreibung auf eine Richterstelle keine Resonanz gezeigt habe, verschmähte Bewerber aus Vorjahren angerufen worden, um – übrigens vergeblich – nachzufragen, ob vielleicht noch Interesse bestehe.

Bis Anfang 2014 hat Baden-Württemberg noch verlangt, dass Rechtsreferendare zumindest eines von zwei juristischen Staatsexamen mit „vollbefriedigend“ bestanden haben müssen, was einer Note ab 9 Punkten und einem Prädikatsexamen gleich kommt. Doch dann wurden, der Not gehorchend, die Einstellungskriterien gesenkt: Jetzt reicht dem Nachwuchs zweimal die Mindestnote 8,0, um sich fürs Richteramt zu qualifizieren. Der Gerichtsdirektor Grewe kritisiert, das Land habe damit den „Kampf um die besten Köpfe“ verloren gegeben. Der Justiz-Sprecher sieht noch keine Dramatik. Der Notenschnitt unter allen Bewerbern für ein Richteramt im Land habe 2014 immerhin bei 9,54 Punkten gelegen. Er räumt ein: „Wir sehen in letzter Zeit, dass es schwieriger wird.“

Imageverfall des Richterberufs

Die jungen Hochbegabten haben in immer größerer Zahl andere Ziele als das Richterpult. Das sind die Top-Kanzleien, die Einstiegsgehälter von bis zu 100 000 Euro bezahlen, aber auch die mutmaßlich mäßiger anstrengenden Posten der Verwaltungsjuristen, die in Rathäusern und Ministerien von Bund und Ländern besetzt werden. In vielen Regionen Deutschlands fluktuiert die Juristenelite in die Privatwirtschaft. Aber in Baden-Württemberg, sagt der Ravensburger Grewe, sei diese Entwicklung durch die Kürzung der Einstiegsgehälter für den Nachwuchs noch künstlich beschleunigt worden. Der Imageverfall des Richterberufs sei nicht monokausal zu erklären, aber bestimmt habe er „was mit der Bezahlung zu tun“.

Die rot-grüne Regierung hat die Eingangsbesoldung für junge Beamte für die ersten drei Berufsjahren um bis zu acht Prozent gesenkt. Ein lediger, kinderloser Richter verdient in Baden-Württemberg jetzt noch 3673 Euro brutto, so wenig wie in keinem anderen Bundesland. Zum Vergleich: Bayern zahlt aktuell 3941 Euro.

Später, mit wachsenden Berufsjahren, nivelliere sich der Nachteil aus, dann verdiene ein baden-württembergischer Richter überdurchschnittlich, so der Sprecher des Justizministeriums. Aber dass die Soldkürzungen für Jungbeamte einen Rückschlageffekt haben, bestreitet er nicht. „Die Absenkung ist uns ein Dorn im Auge.“ Man sei deswegen „in Gesprächen mit dem Finanzministerium“.

Teilzeit gefragt

Die Debatte dürfte schwierig verlaufen. Schließlich sind in diesem Jahr 16 neue Stellen zu Gunsten der Verwaltungsgerichte geschaffen worden, zehn weitere sind angemeldet. So sollen die Flüchtlingsverfahren beschleunigt werden. Sechs zusätzliche Richter wurden im Rahmen des Antiterrorpakets von Grün-Rot eingestellt. Sie arbeiten an einem weiteren Staatsschutzsenat beim Oberlandesgericht Stuttgart und zwei neuen Staatsschutzkammern bei den Landgerichten Stuttgart und Karlsruhe. Diese Verstärkungen, so die Kritik vieler kleinerer Gerichte, hätten auf dem schwachen Stellenmarkt zusätzlich wie ein „Staubsauger“ gewirkt.

Falls keine höheren Besoldungen für die Anfänger bewilligt werden, dürfte den Verantwortlichen über die rund 3100 Richterinnen und Richter im Land nicht viel mehr bleiben, als ihr Marketing zu verbessern. Das dürfte sich bei der Schar der Rechtsreferendare, die sich während der Ausbildung ein genaues Bild der Gerichte machen können, nicht einfach werden. Der Ravensburger Gerichtsleiter Grewe sieht einen „Closed shop der Informierten“, dem man „kein X für ein U vormachen“ könne. Die Flexibilität des Berufs und dessen Teilzeitarbeitsmöglichkeiten hervorzuheben, scheint noch die griffigste Möglichkeit von allen. Richtersprecher Grewe sieht vorläufig immerhin einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit. Die Zahl der an Teilzeitarbeit interessierten Bewerberinnen habe an den Gerichten zuletzt stark zugenommen.