Kritische Situationen und sogar offene Gewalt sind an vielen Gerichten immer wieder an der Tagesordnung. Das Land will seine Justizmitarbeiter nun besser vor Gewalttätern schützen und stellt ein neues Sicherheitskonzept vor.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Amtsgericht Dachau, Januar 2012: Kurz nachdem ein Transportunternehmer wegen Sozialbetrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wird, zieht er eine Waffe und erschießt den Staatsanwalt. Der Richter kann weiteren Schüssen ausweichen. Später gibt der Todesschütze an, aus Hass auf Bayerns Justiz gehandelt zu haben.

 

Karlsruhe, Juli 2012: Ein Gerichtsvollzieher klingelt an einer Wohnung in Karlsruhe. Eine Zwangsräumung steht an, vor dem Haus warten die Möbelpacker. Ein 53-Jähriger bittet den Gerichtsvollzieher, einen ebenfalls anwesenden Schlosser und den neuen Wohnungseigentümer herein und nimmt sie unter Waffengewalt als Geiseln. Als ein Spezialkommando später die Wohnung stürmt, sind die Geiseln und der Schütze tot. Unter den Leichen befindet sich auch die Lebensgefährtin des 53-Jährigen. Die Tat war geplant, sind Ermittler später überzeugt.

Immer wieder „Vorkommnisse“

Die Fälle haben auch den Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) erschreckt. Er ließ sein Ministerium eine Sicherheitskonzeption für alle Gerichte und Justizbehörden im Land ausarbeiten. Es seien ja nicht nur die zurückliegenden spektakulären Bluttaten, die das nötig machten, sondern viele alltägliche, öffentlich oft kaum bemerkte „Vorkommnisse“, merkte Stickelberger in dieser Woche bei der Vorstellung seines neuen Konzeptes an. Immer wieder stehen beispielsweise bei Bandenprozessen nur wenige Justizwachtmeister einem Publikum in den Gerichtssälen gegenüber, das wie eine Drohkulisse wirkt. Mancher Richter bestätigt, dass solche Dinge einen beängstigenden Einfluss haben können und die Atmosphäre im Gerichtssaal auf eine hemmende, ungute Weise verändern.

Dagegen ging es in vielen Gerichten bisher vergleichsweise salopp zu. So zum Beispiel im Landgericht Ulm, wo es keine Türschleuse wie zum Beispiel in Ellwangen gibt und Besucher unkontrolliert nicht nur durch den Haupteingang, sondern auch durch weitere zwei Nebeneingänge ein- und ausgehen konnten. Damit ist es, ganz im Sinn der neuen Sicherheitsmaßnahmen, nun vorbei. Wer ins Ulmer Gerichtsgebäude, in dem auch das Amtsgericht tagt, hinein will, wird nun von einem Wachtmeister ins Auge genommen.

Notfalltasten und Handfunkgeräte

Das sei künftig der „Mindeststandard“, präzisiert eine Ministeriumssprecherin, eine flächendeckende Einführung von Sicherheitsschleusen sei nicht vorgesehen. 4,1 Millionen Euro beträgt das Budget für die Aufrüstung der Gerichte im Land. Aus dieser Summe müssen nicht nur die Eingangsbereiche nötigenfalls baulich verändert und Notrufsysteme wie zum Beispiel Handfunkgeräte angeschafft werden, auch Personalschulungen sieht die Konzeption vor. Die Justizwachtmeister bekommen vertiefende Schulungen für den Krisenfall, zur Vorführung von Angeklagten oder eben zur „visuellen Kontrolle“ an den Eingängen. Jede Dienststelle, teilt das Justizministerium mit, müsse individuelle Sicherheitskonzepte erstellen und vor Ort entscheiden, was sinnvoll sei. Am altehrwürdigen Landgericht Ulm beispielsweise gibt es seit Februar Notfalltasten in allen Dienstzimmern und Sitzungssälen. Eine Kamera ist auf die Außentüren gerichtet. In Notfällen kann die Haupteingangstür elektronisch geschlossen werden. Das Landeskriminalamt, die Ulmer Polizei und die örtliche Feuerwehr haben das Konzept zusammen mit Richtern und Justizmitarbeitern ausgearbeitet.

Letztlich benötigt der höhere Sicherheitsaufwand auch mehr Personal. Das Justizministerium verweist darauf, dass im aktuellen Doppelhaushalt des Landes die Schaffung von 50 neuen Justizwachtmeisterstellen festgehalten ist. Das Ulmer Landgericht beispielsweise stellte dazu bei seiner Jahrespressekonferenz kürzlich fest, dass „der Mehrbedarf an Wachtmeistern vor Ort nicht ausgeglichen werden“ könne. Eine personelle Verstärkung sei „unabdingbar“ und beim Land bereits angefordert worden.

Jedes Gericht macht sein eigenes Konzept

Zumindest die sichtbare Aufrüstung der Gerichte, merken die Ulmer stellvertretend für viele Häuser im Land an, müsse jedoch auch Grenzen haben. Der „Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, der Bürgernähe der Justiz und transparenter Verfahren“ stehe einer „Abschottung“ entgegen“, erinnerte der Landgerichtspräsident Lutz-Rüdiger von Au. Bei der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen gehe es darum für jedes Gericht immer auch um einen Kompromiss.