Binnen eines Jahres hat sich die Zahl der Staatsschutzverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verdoppelt. Der Islamische Staat ist auch in den Gerichtssälen allgegenwärtig. Das Personal auf der Richterbank wird knapp. Auch Familienrichter müssen damit rechnen, sich mit Terror zu beschäftigen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Der internationale Terror hält Einzug in die Stuttgarter Gerichtssäle. Sechs Staatsschutzverfahren sind derzeit beim Stuttgarter Oberlandesgericht anhängig – vor einem Jahr um diese Zeit waren es gerade halb so viele. Damit nicht genug: „Wir rechnen mit weiteren Anklagen im Herbst“ sagt Gerichtspräsident Franz Steinle.

 

Bereits heute steht fest, was am 5. September auf der Tagesordnung des 5. Strafsenats stehen wird. Dann beginnt der Prozess gegen einen heute 20jährigen Deutschen, dem vorgeworfen wird ein Mitglied der Terrororganisation „Islamischer Staat“ zu sein. Die Anklage wirft ihm vor von einer radikal-islamistischen Einstellung getragen über Bulgarien und die Türkei nach Syrien gereist zu sein. Dort habe er sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen und sich im Umgang mit verschiedenen Waffen ausbilden lassen. Aus Sorge um den Gesundheitszustand seiner Mutter und auf Druck seines Vater entschloss sich der Mann jedoch, Syrien wieder zu verlassen. Im Juli 2015 wurde er in der Türkei verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert.

Verhandlung gegen vier Angeklagte in Stammheim

Bereits seit Dezember verhandelt der 3. Strafsenat in Stammheim gegen vier Angeklagte. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten die ausländische terroristische Vereinigung „Harakat Ahrar al-Sham al-Islamiya“ unterstützt, indem sie militärische Bekleidung, Funkscanner und Krankenwagen in Deutschland erworben, nach Syrien transportiert und dort übergeben hätten. Neben den fünf Senatsmitgliedern ist wegen der Länge des Verfahrens auch ein Ergänzungsrichter bestellt. Dabei handelt es sich um Richter, die nicht aktiv an dem Prozessgeschehen eingreifen, jedoch in jeder Verhandlung zugegen sind um einspringen zu können, wenn ein Senatsmitglied ausfällt. Die steigende Anzahl an potenziell lange andauernden Verfahren wird dabei zum Problem. Es sei auch schon vorgekommen, dass Familienrichter als Ergänzungsrichter berufen werden mussten, sagt Gerichtspräsident Steinle. Und es sei nicht ausgeschlossen, dass er demnächst wieder zu diesem Kniff greifen müsse.

Weitere Verfahren mit bundesweiter Beachtung

Denn neben mehreren Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der kurdischen Terrororganisation PKK stehen dem Oberlandesgericht weitere Verfahren mit bundesweiter Beachtung ins Haus. Ganz aktuell überprüft der 6. Strafsenat eine Anklage der Generalstaatsanwaltschaft. Mutmaßliche Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung heißt der Vorwurf gegenüber zwei Beschuldigten. Die Kollegen vom 5. Strafsenat befassen sich derweil mit einem Fall, in dem ein syrischer Staatsangehöriger einen kanadischen UN-Mitarbeiter in Syrien entführt haben soll. Der Mann hatte zuletzt in Baden-Württemberg gewohnt und soll Mitglied der terroristischen Vereinigung „Jabhat al-Nusra“ gewesen sein.

Die anstehenden und absehbar neu hinzukommenden Aufgaben hält Franz Steinle mit der dem derzeitigen Personal kaum zu bewältigen. Mindestens zwei neue Richterstellen werde man in diesem Bereich schon benötigen, rechnet der OLG-Präsident hoch.