Eine geheime „Handreichung“ aus dem Justizministerium – wie passt das zur Unabhängigkeit der Richter? Kein Problem, meint Justizminister Guido Wolf. Doch sein Rundschreiben zu den „Reichsbürgern“ wirft heikle Fragen auf.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Selbst altgediente Juristen konnten sich nicht an einen vergleichbaren Vorgang erinnern. Geheime Hinweise aus dem Justizministerium, wie mit bestimmten Dingen umzugehen sei – das habe es in Einzelfällen wie dem Besuch von US-Präsident Obama einmal gegeben, regional eng begrenzt. Landesweit sei derlei aber wohl noch nie verschickt worden.

 

Entsprechendes Aufsehen erregte die Handreichung für den „Umgang mit schwierigen Verfahrensbeteiligten“, die das Ressort von Guido Wolf (CDU) unlängst flächendeckend verteilen ließ. Wie die gesamte „Sicherheitskonzeption für die Gerichte und Justizbehörden in Baden-Württemberg“, zu der das Papier gehört, ist es als „VS-NfD“ eingestuft – also als Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch. Anlass des Rundschreibens waren Schwierigkeiten mit ganz bestimmten Verfahrensbeteiligten: den sogenannten Reichsbürgern, die der Bundesrepublik Deutschland die Anerkennung verweigern und das Deutsche Reich fortbestehen sehen.

Nur Hilfestellung für die Praxis?

Auch die Justiz akzeptieren sie daher nicht – und erschweren ihr nach Kräften die Arbeit. Da werden Verhandlungen gestört, unerlaubt Aufnahmen gemacht oder gar trickreich fiktive Geldforderungen in Malta erhoben, die man nicht einfach ignorieren kann. Besonders betroffen sind neben den Richten Gerichtsvollzieher, die Forderungen eintreiben müssen. Ihnen allen gebe man „für typische Fallkonstellationen rechtliche und praktische Hilfestellungen“, sagt der Sprecher von Minister Wolf, ohne diese näher zu erläutern. Potenzielle Störer sollten sich ja nicht auf die Maßnahmen zur Prävention oder für Notfälle einstellen können. Zum Umgang mit „Reichsbürgern“ offeriere man zudem Schulungen, die im Herbst angelaufen seien und 2017 fortgesetzt würden.

So weit, so nachvollziehbar. Doch „Handreichungen“ gerade für Richter, deren Unabhängigkeit vom Grundgesetz garantiert ist, haben auch etwas Heikles – und eine ungute Tradition. „Richterbriefe“ hießen die Rundschreiben, mit denen sich in der Nazizeit der Reichsjustizminister Otto Georg Thierack (NSDAP) an die Richter wandte. Da ging es, zum Beispiel, um Fälle von „Ehebruch mit Kriegerfrauen“ oder die „volkstümliche Fassung“ von Anklagen oder Urteilen. Das seien keine Befehle, hieß es, sondern nur Ratschläge, wie Richter „der Volksgemeinschaft helfen“ könnten.

Schmaler Grat zwischen Hinweis und Weisung

Jeder Vergleich damit verbietet sich natürlich. Eine Frage aber stellt sich damals wie heute: wo verläuft die Grenze zwischen Hinweis und Weisung? Manche Formulierung im Papier des Justizministeriums, das unserer Zeitung bekannt ist, lässt sich fast nur als Weisung verstehen. Etwas „…ist zu vermeiden…“ – das klingt schon sehr verbindlich. Auch die Empfehlung, sich bloß nicht auf Diskussionen mit den „Reichsbürgern“ einzulassen oder auf deren – fraglos kruden – Argumente einzugehen, lässt beim zweiten Lesen stutzen: Wird damit nicht das „rechtliche Gehör“ verkürzt, das die Justiz jedem Bürger ohne Ansehen der Person zu gewähren hat? Solche Fragen wurden – eher vereinzelt als breit – in der Richterschaft erörtert.

Nagelproge steht noch aus

Für das Justizministerium ist die Antwort klar: Es handele sich „ohne jeden Zweifel“ nur um Anregungen, betont Wolfs Sprecher. Letztlich entscheide jeder Richter frei und unabhängig. Auch der Landeschef des Richterbundes, Matthias Grewe, vertraut da auf seine Kollegen: „Ein Rechtsstaat darf nur mit den Mitteln des Rechtsstaats reagieren“, auch auf unangenehme Zeitgenossen; das entspreche ihrem Selbstverständnis. Die Handreichung könne „wohl nicht als Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit gewertet werden“, sekundiert sein Kollege Johann Bader von der Neuen Richtervereinigung. Auch das rechtliche Gehör werde wohl nicht verkürzt. Zweimal „wohl“– die Nagelprobe steht noch aus.

Ein Richter könnte etwa zur Überzeugung gelangen, dass er die geheime Handreichung einem Angeklagten oder Kläger zugänglich machen muss. Die Bürger sollen schließlich wissen, auf welcher Grundlage die Justiz mit Ihnen umgeht. Beginge er damit eine Straftat oder ein Dienstvergehen? Man werde „keine hypothetischen und abstrakten Fallkonstellationen bewerten“, weicht das Justizministerium aus. Begründung: Man wolle nicht den Verdacht erwecken, „in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen“.