Laut dem Generalstaatsanwalt hat das Justizopfer Harry Wörz „ein großzügiges Angebot“ des Landes in sechsstelliger Höhe ausgeschlagen. Wörz dagegen rechnete Journalisten vor, dass er damit gerade einmal auf Hartz-IV-Niveau käme.

Pforzheim - Der 1998 zu Unrecht verurteilte und seit Ende 2010 rehabilitierte Harry Wörz ist erschöpft, enttäuscht, aber auch entsetzt und erbost: „Ich will wieder gesund werden. Ich will wieder arbeiten – und die Generalstaatsanwaltschaft verhindert das.“ Vor knapp drei Wochen hatte vor dem Landgericht sein Kampf um weitere Entschädigungszahlungen begonnen. „Polizei und Staatsanwälte haben mein Leben zerstört“, sagte das Justizopfer vor Journalisten in der Praxis seiner Psychologin Sigrun Wieske. Wörz will darauf aufmerksam machen, dass er sich mit seinen Schadenersatzforderungen nicht bereichern möchte.

 

„Die Leute haben eine total falsche Vorstellung: Die denken, der Wörz kriegt ein Riesengeld“, sagt der 49-Jährige aus Birkenfeld bei Pforzheim. Dass sein Leben seit der Verhaftung aus den Fugen geraten und er krank geworden sei durch die psychischen Belastungen der Strafverfolgung, könne man mit Geld nicht heilen. Wieske weist daraufhin, dass auch die lange Verfahrensdauer und „Verschleppung“ der Entschädigung durch die Generalstaatsanwaltschaft „maßgeblich“ zu der Chronifizierung des Herrn Wörz beigetragen haben. „Das wäre nicht nötig gewesen,“ sagt die Therapeutin.

Um „die Belastung von Herrn Wörz zu nehmen“, wollte die Generalstaatsanwaltschaft den Rechtsstreit endgültig beenden, sagt deren Sprecher Jürgen Gremmelmaier: „Wir haben einen großzügigen Vergleichsvorschlag in sechsstelliger Höhe gemacht.“ Das sollte auch weitere Ansprüche auf Erwerbsunfähigkeitsrente miteinschließen. Den Vorschlag habe Wörz abgelehnt, laut Gremmelmaier seien die Güteverhandlungen damit gescheitert.

Harry Wörz hält den Vorschlag des Generalstaatsanwalts für indiskutabel

Der 49-Jährige selbst sprich von einem „völlig indiskutablen Vorschlag“, den er nicht konkret beziffern will. Vielmehr rechnet er anhand einer Beispielrechnung vor, dass er bei einer Summe von 250 000 Euro den Höchstsatz Steuern abführen müsste. Sollte er auf Dauer berufsunfähig sein, würde ihm, die strittigen Verdienstausfalljahre mitberücksichtigt, das „großzügige Angebot des Landes“ ein monatliches Einkommen bis zur Rente gerade einmal auf Hartz IV-Niveau bescheren. Da stelle sich ihm die Frage: „Was ist dem Staat ein Menschenleben wert?“

Viereinhalb Jahre nach seinem rechtskräftigen Freispruch ist der Streit um eine Entschädigung also noch immer nicht ausgestanden. Zu einem vom Landgericht vorgeschlagenen Vergleich, der keine konkrete Zahlen, sondern eine Berechnungsgrundlage nennt, kann sich Wörz noch äußern. Der nächste Verhandlungstermin ist noch nicht bestimmt. Wörz macht weitere Verdienstausfälle von rund 86 000 Euro sowie weitere Kosten von rund 26 000 Euro geltend. Zudem geht es unter anderem um die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente über das Jahr 2016 hinaus. Bisher habe er rund 156 000 Euro erhalten für die Jahre seit seiner Verhaftung 1997 bis zur Entlassung 2001, das Finanzamt habe ihn dafür kräftig zur Kasse gebeten. Längst seien nicht alle Schulden bei Freunden beglichen, die ihm über die Runden geholfen hatten, bis die Generalstaatsanwaltschaft nach langem Hickhack ein Gutachten über eine vorläufige Erwerbsunfähigkeit anerkannte. Er müsse „um jeden Cent“ Entschädigung kämpfen, Belege vorlegen für Kurzzeitparktickets ebenso wie für die vor seiner Verhaftung im April 1997 gekauften Möbel seiner Wohnung. Die wurde aufgelöst, als er, verurteilt zu elf Jahren Haft wegen des versuchten Totschlags an seiner Exfrau, im Gefängnis saß.

Die Frau, eine Pforzheimer Polizistin, hatte den Würgeangriff schwerst behindert überlebt. Das „ziemlich schäbige und extrem bürokratische“ Verhalten des Landes hatten Richter im im Vorfeld kritisiert (die StZ berichtete). Eine solch restriktive Auslegung sei durch das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht gedeckt. Zudem hatten sie auf die Verantwortung des Justizministers Rainer Stickelberger (SPD) hingewiesen. Bei einer Entschädigung handle es sich um einen Verwaltungsakt, den die Generalstaatsanwaltschaft federführend für die Justizverwaltung durchführe. Der oberste Dienstherr habe jederzeit vollen Zugriff.

Richter verweisen auf die Verantwortung des Justizministers

Der Anwalt der Generalstaatsanwaltschaft hatte in der mündlichen Verhandlung den geforderten Verdienstausfall bestritten – Wörz hätte sich nach seiner Haftentlassung bis zum endgültigen Freispruch 2010 um eine Stelle bemühen können. Eine Frechheit, findet Wörz. Denn wer stelle jemanden fest ein, auf den ein Wiederaufnahmeverfahren mit möglicher Verurteilung wartet? Zudem, betont Wörz, habe er in dieser Zeit bis zum Umfallen gearbeitet, für die Verhandlungstage Urlaub genommen. „Nur sonntags hatte ich frei, für meine Familie und meine Akten“, sagt er.

Dass er sich dadurch selbst bis an die Grenzen der Belastbarkeit brachte, habe er erst bemerkt, als es zu spät war. Streit gibt es auch über die Berechnungsgrundlage. Ihr zugrunde gelegt werden soll nicht seine Weiterqualifizierung zum Bauzeichner, sondern seine Tätigkeit als Maschinenarbeiter, die er zur Zeit der Verhaftung ausgeübt hatte. Auch das empört Wörz. Er geht davon aus, dass er einen entsprechend qualifizierten Job gefunden hätte.

Seine Anwältin Sandra Forkert-Hosser will nun versuchen, Mitschüler zu finden, die 1995 und 1996 mit Wörz den Fortbildungslehrgang „Bauzeichnen mit CAD“ bei der ELOP-Robotersteuerung im Schulungszentrum Karlsruhe GmbH besucht haben. Wörz’ Hausarzt hat Anfang Juni an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann angeschrieben. Aus ärztlicher Sicht sei es unerlässlich, dass das Land seine Schuld eingestehe und sich bei seinem Patienten entschuldige. Eine Antwort hat Christoph Kronschnabl noch nicht.

Vor Journalisten sagte der Ministerpräsidenten vor kurzem: „Dass Harry Wörz so lange für seinen Freispruch kämpfen musste, bewegt die Menschen natürlich. Umso mehr wäre es wünschenswert, wenn nun rasch eine einvernehmliche Regelung seiner Ansprüche gelänge. Dies wäre selbstverständlich auch mir ein Anliegen.“ Der Karlsruher Anwalt Ulrich Sauer indes wirft die Frage auf: „Wie viel Schäbigkeit verträgt der Rechtsstaat?“ Sauer schlägt vor, den Südwest-Marketingspruch zu ändern: „Wir können alles . Außer Anstand.“