Das Land ist der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, die Unterbringung von Sicherungsverwahrten zu verbessern. Dazu gehören auch mehr Therapieangebote. Wie das funktioniert, zeigt das Beispiel Freiburg.

Stuttgart - In der Sprache des Rechts bringen sie ein „Sonderopfer für die Allgemeinheit“ dar. Aber im richtigen Leben sind sie Täter. Ziemlich schlimme sogar. Als Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) dieser Tage die Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg besucht, genauer gesagt: den eigens abgetrennten Bereich für die Sicherungsverwahrten, stehen einige der Männer hinter ihren Gitterfenstern und beobachten, wie der Minister den allein diesen speziellen Gefangenen vorbehaltenen Innenhof inspiziert. „Man sperrt uns ein wie Viecher“, ruft einer der Sicherungsverwahrten in breitem Schwäbisch. Andere stimmen ein, aber was sie sagen, ist nicht leicht zu verstehen. Andere stehen nur hinter den Gittern, starren und schweigen.

 

Vergangenes Jahr hat der Landtag eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung beschlossen – auf Druck des Bundesverfassungsgerichts, das wiederum zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufnahm – jene Straßburger Richtersprüche, welche die aufsehenerregende Entlassungen auch von Sicherungsverwahrten mit ungünstiger Prognose ausgelöst hatten. Notorische Verbrecher mussten plötzlich rund um die Uhr von der Polizei überwacht werden. Die Aufregung war groß.

Bei diesen Urteilen ging es immer auch um die Frage, wie mit Menschen umzugehen ist, die ihre Strafe – verhängt zum Zwecke der Sühne und der Abschreckung – ja schon verbüßt haben – und nur deshalb noch eingesperrt sind, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie auch weiterhin eine Gefahr für Allgemeinheit darstellen. Rechtlich ist die Sicherungsverwahrung problematisch, weil sie dem Grundsatz widerspricht: keine Strafe ohne Tat. Das galt schon bei den Römern. In diesem juristischen Sinne erbringen Sicherungsverwahrte ein „Sonderopfer für die Allgemeinheit“. Und weil das so ist, so befanden die Richter, dürfen Sicherungsverwahrte auch nicht genauso behandelt werden wie Straftäter, sondern – allgemein ausgedrückt – etwas besser.

Zimmer statt Zelle

Dieser Forderung will das Land nun mit dem neuen Gesetz nachkommen, das Anfang Juni in Kraft tritt. In Freiburg verschaffte sich Justizminister Stickelberger ein Bild über den Stand der Vorbereitungen. Im Vergleich zu den Strafgefangenen genießen die Sicherungsverwahrten durchaus Vorteile. Ihre Zellen, die künftig Zimmer heißen, sind mit 15 Quadratmetern deutlich größer als die der übrigen Gefangenen. Sie dürfen die Zimmer mit eigenen Möbeln ausstatten, sie bekommen mehr Zeit für den Empfang von Besuchen, sie erhalten mehr Geld als Arbeitsvergütung (20,70 Euro am Tag im Vergleich zu 11,64 Euro für andere Strafgefangene), sie dürfen Kochen und anderes mehr. Sie müssen auch von den übrigen Häftlingen getrennt untergebracht werden. In Freiburg liegt der Trakt der Sicherungsverwahrten außerhalb der Gefängnismauer, ist aber mit der Haftanstalt verbunden. Was praktisch ist, etwa für die Arbeit in den Werkstätten.

Vor allem jedoch soll die Sicherungsverwahrung laut Gesetz die „Untergebrachten“ ertüchtigen, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Das entspricht den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts, über das Justizminister Stickelberger indes sagt, es gehe von einem „Menschenbild aus, dass sich in der Realität so nicht findet“. Auch Thomas Rösch, der Leiter der JVA Freiburg, hält die Karlsruher Richter für „ein bisschen therapiegläubig“. Rösch, ein sehr erfahrener Mann, befindet: „20 Prozent kann man nicht therapieren, es geht einfach nicht.“ In manchen Fällen schwinde die Gefährlichkeit mit dem Alter, bei Vergewaltigern zum Beispiel. Für Pädophile gelte dies aber weniger.

Thomas Kesenheimer, der therapeutische Leiter der Abteilung für Sicherungsverwahrte, erkennt bei etwa 70 Prozent seiner Klienten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Diesen Menschen fehlt die Fähigkeit zur Empathie, sie entwickeln kein Mitgefühl, sie kennen wenig Normen, wenig Werte. „Sie befriedigen ihre eigenen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf andere Menschen“, sagt Kesenheimer. Sie reden sich ein, das Opfer habe die Vergewaltigung im Innersten gewünscht. „Das kann man manchmal reparieren, aber nicht immer.“

Ein halbes Jahr Therapie reicht nicht

In Freiburg findet sich ein Bereich für Sicherungsverwahrte, die als gefährlich gelten oder die schlicht in Ruhe gelassen werden wollen. Ziel ist aber eine Wohngruppenunterbringung mit Küche und Gemeinschaftsraum, wie sie auf zwei Stationen angeboten wird. Es gibt wöchentliche Therapiegruppen für Sexualstraftäter und demnächst auch für Gewalttäter. Dazu Arbeitstherapie, Kunsttherapie, auch Spielabende werden angeboten. Nicht wenige Betroffene, erzählt Psychologe Kesenheimer, erwarten von dem neuen Gesetz, „dass sie ein halbes Jahr in Therapie gehen und dann entlassen werden“. 90 Prozent der Sicherungsverwahrten seien therapiewillig, aber so schnell ließen sich die schweren Persönlichkeitsstörungen nicht beheben. Dazu komme die Vorgeschichte der meisten Insassen, die oft von Alkohol, Beziehungsbrüchen und anderen Katastrophen geprägt sei „Es ist kaum jemand bei uns mit einer normalen bürgerlichen Sozialisation.“ 950 000 Euro kosteten die Umbauten in Freiburg und im Frauengefängnis Schwäbisch Gmünd. Das Land hat auch neue Stellen im Vollzugsdienst und für Psychologen geschaffen. Die Vollzugsbediensteten wechseln laut Anstaltsleiter Rösch alle fünf Jahre. Dann müssten sie etwas anderes sehen. „Es gehört sehr viel Nächstenliebe dazu, das auszuhalten.“