Nach den Vorfällen in den Justizvollzugsanstalten in Adelsheim und Bruchsal ist die Stimmung bei den Bediensteten bedrückt, stellt der Justizminister Rainer Stickelberger fest. Es gibt zwar weniger Verurteilungen, doch die Häftlinge entwickeln sich zu immer schwierigeren Fällen.

Stuttgart - Die Stimmung bei den Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten des Landes ist „bedrückt“. Das hat der für sie zuständige Minister Rainer Stickelberger (SPD) erfahren müssen. Ihm persönlich gehe es freilich genauso. Zu viel ist passiert in den vergangenen Tagen.

 

Im Gefängnis in Bruchsal ist ein seit zwei Jahren in Einzelhaft einsitzender Gefangener tot in seiner Zelle gefunden worden. Er hat sich seit längerer Zeit geweigert, die Anstaltskost zu sich zu nehmen und war stark abgemagert. Die Staatsanwaltschaft prüft jetzt, ob es seitens der Justizangestellten Versäumnisse gegeben hat; ob sie hätten bemerken müssen, dass der Gefangene in einem lebensbedrohlichen Zustand ist und ärztlicher Hilfe bedurfte.

Stickelberger sah sich genötigt, den Leiter der Bruchsaler Anstalt vorübergehend zu suspendieren. Mit dieser Maßnahme wollte er Vorhalten zuvorkommen, die justizinternen Ermittlungen könnten parteilich sein. Das hat es in Baden-Württemberg noch nicht gegeben. Prompt gedeihen Spekulationen. Etwa dass in der Justizvollzugsanstalt rechtsradikale Unterwanderung stattfinden und rassistische Umtriebe herrschen könnten. Stickelberger hat dazu „keine Information“. Wenn es Hinweise darauf gebe, kümmere sich die Staatsanwaltschaft darum, sagte er überrascht. „Das höre ich heute zum ersten Mal,“ so auch der leitende Oberstaatsanwalt in Karlsruhe, Gunter Spitz.

Euphorie nicht angebracht

In der Jugendvollzugsanstalt in Adelsheim hat es vergangene Woche eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen zwei Jugendgruppen gegeben. Als die Justizbediensteten eingriffen und schlichten wollten, richtete sich die Gewalt gegen sie. Sechs Beamte wurden dienstunfähig geschlagen. Auch das, so stellt der Justizminister fest, sei eine neue Qualität. Die Vollzugsbeamten stellten sich angesichts solcher Geschehnisse die Frage, ob nun bei ihnen eine gesellschaftliche Entwicklung ankommt, über die der Innenminister Reinhold Gall (SPD) aus Sicht seiner Polizeibeamten schon länger klagt: eine zunehmende Gewaltbereitschaft und Angriffslust von Personen, die mit der Staatsmacht in Berührung kommen. „Die Gefangenen werden immer respektloser,“ habe ihm eine Vollzugsbeamtin gesagt, so Stickelberger.

Das treibt den Justizminister um. Die nackten Zahlen sehen ja gar nicht schlecht aus. Vergangenes Jahr hat es weniger Verurteilungen im Land gegeben. Von den Gerichten sind auch deutlich weniger Jugendliche sanktioniert worden. Rückläufig ist auch die Zahl der Urteilssprüche aufgrund von Gewalttaten gewesen. „Das ist aber kein Anlass für Euphorie,“ so Stickelberger. „Die Fälle, die wir in den Haftanstalten haben, sind schwierig genug.“

Drogenabhängige Gefangene

Sie werden immer schwieriger. Die jugendlichen Straftäter in Adelsheim etwa hätten meist ein beachtliches Strafregister. Viele stammten aus problematischen Verhältnissen. „50 Prozent der harten Straftäter haben eine psychische Störung“, berichtet der Minister, oder sind drogenabhängig. „Die bringen ihre Konflikte mit in die JVA.“ Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppierungen habe es immer wieder gegeben. Aber dass Übergriffe auf Bedienstete stattfinden, sei „bisher einmalig“. Wie darauf zu reagieren ist, lasse sich noch nicht sagen, so Stickelberger. „Wir werden die Abläufe genau analysieren.“ Vielleicht müsse man künftig darauf achten, dass die auf dem Hof zusammen kommenden Gruppen kleiner sind. Die Bewaffnung der Justizbediensteten ist für den Minister nicht die Lösung. „Was würde denn passieren, wenn bei einer solchen Auseinandersetzung eine Waffe in die falschen Hände gerät?“ fragt er. Richtig offensiv klingt er auch nicht beim Stichwort Personal: „Wir sind im Strafvollzug nicht üppig ausgestattet.“ Und: „Mehr Personal könnten wir immer gebrauchen.“ Aber er sagt auch, dass die Personalsituation in Adelsheim am Tag der Schlägerei keineswegs angespannt war. Auch Bruchsal ist überdurchschnittlich mit Stellen ausgestattet. Es ist wohl so: „Der Strafvollzug ist nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft“, so Stickelberger. „Wenn es uns gelingt, dass einige Gefangene nicht wieder im Strafvollzug auftauchen, haben wir viel erreicht.“

Warum die Zahlen für 2013 so günstig sind, lässt sich schnell erklären. Die wirtschaftliche Lage im Land ist ganz ordentlich. „Die Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Verurteilungen wieder steigt, wenn die Wirtschaft nachlässt“, sagt der Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). Er sieht sich aber auch „in unseren Präventionsbemühungen“ bestätigt. Das sporne an, „nicht darin nachzulassen“.

Weniger Jugendliche verurteilt

Im Vergleich zu 2012 sind im vergangenen Jahr 10,9 Prozent weniger Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren strafrechtlich belangt worden; 5800 waren es insgesamt. „Das ist der niedrigste Stand seit 1995“, berichtet der Minister. Im sechsten Jahr in Folge sank die Zahl; 2007 waren noch 9500 Jugendliche von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt worden.

Bei Heranwachsenden ist die Entwicklung ähnlich. Bei ihnen betrug der Rückgang 4,1 Prozent, seit 2007 sank die Zahl der Verurteilungen von 13 600 auf 10 400. Das hat dazu beigetragen, dass die Strafverfolgungsstatistik insgesamt ein Minus vor dem Endergebnis vorweist. Um 0,1 Prozent ist die Gesamtzahl von Verurteilungen gefallen, auf gut 105 000 Personen.

Dass diese Zahlen nicht nur demografiebedingt sind, also mit der sinkenden Zahl junger Menschen zu tun haben, ermittelten die Statistiker. Carmina Brenner, die Präsidentin des Statistischen Landesamtes, wies darauf hin, dass demografiebereinigt die Verurteiltenhäufigkeit bei Jugendlichen sogar um elf Prozent rückläufig war, bei den Heranwachsenden sank sie noch um 2,4 Prozent, für alle um 0,9 Prozent.

Vergangenes Jahr gab es diesen Zahlen zufolge um 3,9 Prozent weniger Urteilssprüche nach einer Gewalttat; insgesamt wurden 4411 Verurteilte erfasst.

Frauen holen auf

Stark zugenommen hingegen haben Gerichtsurteile wegen Betäubungsmitteldelikten. Der Zuwachs betrug 7,1 Prozent auf 7500 Fälle. Hier sind die Jugendlichen und Heranwachsenden auffällig, bei ihnen sei auf diesem Feld ein deutlicher Anstieg von Verurteilungen festzustellen. „Das geht sicherlich auch auf verstärkte Kontrollmaßnahmen der Polizei zurück“, so der Justizminister. „Es zeigt uns aber auch, dass in diesem Bereich gesellschaftliche Probleme bestehen, denen wir uns stellen müssen.“

Die Frauenquote wächst. Waren 1993 erst 14 Prozent der Abgeurteilten weiblich, sind es 2013 schon 19,6 Prozent gewesen. Während bei den Männern ein Straßenverkehrsdelikt der häufigste Anlass für das Kennenlernen der Anklagebank ist, sind es bei Frauen Betrug und Untreue.

2013 hat es auch mehr Ausländer unter den Verurteilten gegeben als 2012. Demografiebereinigt nahm bei ihnen die Verurteiltenhäufigkeit um 2,9 Prozent zu. Ihr Anteil schwankt über die Jahre stark. 1993 etwa wurden 44 000 Ausländer schuldig gesprochen, das waren 36,6 Prozent von allen. Vergangenes Jahr lag die Quote bei 31,2 Prozent bei 32 800 Verurteilten.

Von allen Verurteilungen sind Straßenverkehrsdelikte mit 22,7 Prozent die häufigste Straftat, gefolgt von Betrug und Untreue (22,1 Prozent), Diebstahl (16,2 Prozent), Drogenmissbrauch (acht Prozent) und Gewalttaten (vier Prozent).