Region: Verena Mayer (ena)

Wer in einem Krankenhaus arbeitet, einem Gefängniskrankenhaus dazu, darf sich über solche Fragen nicht zu viele Gedanken machen. „Im Vordergrund steht das Gebrechen, nicht das Verbrechen“, sagt Jeanette Beastoch. . Auf dem Hohenasperg wurde der Holocaust-Massenmörder Karl Jäger versorgt, bis er sich im Juni 1959 erhängte. Oder der KZ-Kommandant Josef Schwammberger, bis er im Dezember 2004 das Zeitliche segnete. Oder der Serienmörder Heinrich Pommerenke, bis er im Dezember 2008 starb.

 

Auf der anderen Seite der dicken Mauern sitzen Spatzen auf den Ästen der edlen Kastanien. Vor dem blickdichten Lattenzaun legen Bauarbeiter eine Zufahrt zu den unwegsamen Weinbergen im Hang. Über dem martialischen Stacheldraht strahlt die Sonne. Bald werden sich an den steinalten Felswänden Eidechsen wärmen, und Mauersegler bauen unter den Regenrinnen der Gefängnishäuser ihre Nester. Der Biergarten wird öffnen. Und Gertrud Bolay, 77, wird viele Wanderer treffen, die es paradox finden, dass die Menschen, die Tag und Nacht hier oben sind, nichts von der Idylle haben.

Gertrud Bolay ist auf ihre Art vom Berg gefangen, an dessen Fuß sie lebt. Fast jeden Tag steigt die pensionierte Schulleiterin die 200 Staffeln durchs Schwitzgässle hinauf, um spazieren zu gehen und den Blick in die Weite zu genießen. „Der Hohenasperg ist ein kleines Paradies“, sagt Gertrud Bolay. Im Sommer führt sie Touristen an diesen Ort, der als höchster Berg verspottet wird: weil es Jahre dauert, bis man wieder runterkommt. Gertrud Bolay schwärmt von den Scherben aus der Keltenzeit, die in der Umgebung gefunden wurden – und die darauf schließen lassen, dass der Hohenasperg ein bedeutender Fürstensitz war. Sie erklärt, dass die Bewohner des Bergs an dessen Fuß zogen, als Herzog Ulrich im Mittelalter das bisherige Dorf zur Festung ausbauen ließ. So entstand die Stadt Asperg.

Ein sehr deutscher Ort

Und natürlich erzählt Gertrud Bolay von den Häftlingen, die ihren Hausberg zum bekannten Demokratenbuckel machten. Der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart wurde dort oben gefangen gehalten, weil Herzog Carl Eugen seine antiaristokratischen Satiren missfielen. Friedrich List wurde als Vorkämpfer des Vormärz festgesetzt, Gottlieb Rau als gescheiterter 1848er-Revolutionär. Die Nazis inhaftierten 1933 den württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz auf dem Berg, der ihnen zugleich als Sammellager für Sinti, Roma und Juden diente. Von dort wurden sie nach Auschwitz deportiert. Man kann sagen, der Hohenasperg ist ein sehr deutscher Ort.

1500 Patienten werden im Jahr verarztet

Die Türen zu den Krankenzimmern sind so mächtig, dass sie wohl nicht mal ein gesunder Schwerverbrecher aufstemmen könnte. Statt Gardinen gibt es an den Fenstern Gitter. Der Weg zu den Stationen führt durch zwei schwere Tore, an deren Schlössern selbst ein gewiefter Mister Minit verzweifeln sollte. Was man halt braucht, wenn man Mörder, Drogensüchtige und Schizophrene verwahren muss. Und Vergewaltiger, Betrüger und Selbstmordgefährdete.

Jeanette Beastoch wird oft gefragt, ob sie keine Angst habe. Den ganzen Tag unter kranken Verbrechern. Das muss doch gefährlich sein oder zumindest unheimlich. Doch die Verwaltungsdirektorin fürchtet sich nicht. Die Arbeit sei spannend, sagt sie.

Vierzehn Internisten, Chirurgen und Psychiater verarzten auf dem Hohenasperg durchschnittlich 1500 Patienten pro Jahr. Vier Psychologen, drei Sozialarbeiter und zwei Pfarrer arbeiten dort. Und 100 Vollzugsbeamte, von denen die meisten auch eine Ausbildung zum Krankenpfleger haben. Der Personalschlüssel auf dem Berg ist höher als an einem normalen Krankenhaus, wegen der Sicherheit. Wie hoch, wird nicht verraten. Sonst könnten die falschen Leute ausrechnen, wie viele Personen sie bei einem potenziellen Ausbruchsversuch ausschalten müssten.

Prominente Häftlinge sorgen für Schlagzeilen

Doch der klinische Standard ist niedriger: Das Gefängniskrankenhaus hat kein Labor mehr. Blut, Leber- oder Nierenwerte, Immunglobuline oder Cholesterin werden seit mehr als zehn Jahren extern analysiert. Der Operationssaal wurde geschlossen, als die beiden damaligen Chirurgen in den Ruhestand gingen. Seither werden im Gefängniskrankenhaus nur noch Schnitte genäht oder Abszesse entfernt. Gebrochene Leisten oder entzündete Blinddärme werden im Klinikum in Vaihingen/Enz operiert.

Dem Fitnessrad, mit dem ein freier Physiotherapeut dreimal pro Woche kaputte Kniescheiben kuriert, sieht man an, dass es schon viel getreten wurde. Das Röntgengerät sieht aus, als ob es bald selbst eine Behandlung nötig hätte. Einen Computertomografen gibt es erst gar nicht. Es lohnt sich nicht, in dem 60 Jahre alten Krankenhaus eine Maximalversorgung auf neuestem Stand zu bieten. Außerdem will das Land seit Jahrzehnten eine neue Gefängnisklinik in Stuttgart-Stammheim bauen. Bis jetzt blieb es allerdings bei der Absichtsbekundung. Noch immer fehlt das Geld. „Wir sind eine extreme Nische“, sagt Jeanette Beastoch, die dankbar ist, dass die Tuberkulosestation frisch saniert wurde. Und froh, dass Dialysepatienten den Hohenasperg für die Blutwäsche seit Neuestem nicht mehr verlassen müssen. Dreimal pro Woche entsendet eine Praxis Mitarbeiter und Geräte.

Nazi-Opfer, RAF-Terroristen und KZ-Wächter

In einem dieser Betten lag der krebsgequälte Helmut Palmer, der im Herbst 2000 seine Haftstrafe wegen Beamtenbeleidigung auf dem Hohenasperg absitzen musste. In einem dieser Gebäude wurde der Steuersünder und Tennisvater Peter Graf behandelt, als er im Sommer 1995 wegen „körperlicher Beschwerden“ vom Mannheimer Knast ins Gefängniskrankenhaus überwiesen wurde. In einer dieser Zellen erholte sich der RAF-Terrorist Günter Sonnenberg, der bei seiner Verhaftung im Frühjahr 1977 durch einen Kopfschuss schwer verletzt worden war. Für seine Rund-um-die-Uhr-Bewachung waren acht Polizeibeamte abgestellt. Sein Fenster wurde zusätzlich mit einem Streckmetallgeflecht gesichert, seine Decke mit einem extrastabilen Baustahlgewebe.

Der Hohenasperg hat schon oft Schlagzeilen produziert. Jetzt also wegen der mutmaßlichen ehemaligen KZ-Wächter.

Ist es verstörend, Menschen beim Waschen zu helfen, die verdächtigt werden, vor mehr als sieben Jahrzehnten Menschen in die Gaskammer getrieben zu haben? Ist es unangenehm, Männern in die Hosen zu helfen, die vielleicht anderen das letzte Hemd abgenommen haben? Ist es grotesk, jemanden zu pflegen, der möglicherweise am gewaltsamen Tod vieler Menschen beteiligt war?

Für Anwohner ein kleines Paradies

Wer in einem Krankenhaus arbeitet, einem Gefängniskrankenhaus dazu, darf sich über solche Fragen nicht zu viele Gedanken machen. „Im Vordergrund steht das Gebrechen, nicht das Verbrechen“, sagt Jeanette Beastoch. . Auf dem Hohenasperg wurde der Holocaust-Massenmörder Karl Jäger versorgt, bis er sich im Juni 1959 erhängte. Oder der KZ-Kommandant Josef Schwammberger, bis er im Dezember 2004 das Zeitliche segnete. Oder der Serienmörder Heinrich Pommerenke, bis er im Dezember 2008 starb.

Auf der anderen Seite der dicken Mauern sitzen Spatzen auf den Ästen der edlen Kastanien. Vor dem blickdichten Lattenzaun legen Bauarbeiter eine Zufahrt zu den unwegsamen Weinbergen im Hang. Über dem martialischen Stacheldraht strahlt die Sonne. Bald werden sich an den steinalten Felswänden Eidechsen wärmen, und Mauersegler bauen unter den Regenrinnen der Gefängnishäuser ihre Nester. Der Biergarten wird öffnen. Und Gertrud Bolay, 77, wird viele Wanderer treffen, die es paradox finden, dass die Menschen, die Tag und Nacht hier oben sind, nichts von der Idylle haben.

Gertrud Bolay ist auf ihre Art vom Berg gefangen, an dessen Fuß sie lebt. Fast jeden Tag steigt die pensionierte Schulleiterin die 200 Staffeln durchs Schwitzgässle hinauf, um spazieren zu gehen und den Blick in die Weite zu genießen. „Der Hohenasperg ist ein kleines Paradies“, sagt Gertrud Bolay. Im Sommer führt sie Touristen an diesen Ort, der als höchster Berg verspottet wird: weil es Jahre dauert, bis man wieder runterkommt. Gertrud Bolay schwärmt von den Scherben aus der Keltenzeit, die in der Umgebung gefunden wurden – und die darauf schließen lassen, dass der Hohenasperg ein bedeutender Fürstensitz war. Sie erklärt, dass die Bewohner des Bergs an dessen Fuß zogen, als Herzog Ulrich im Mittelalter das bisherige Dorf zur Festung ausbauen ließ. So entstand die Stadt Asperg.

Ein sehr deutscher Ort

Und natürlich erzählt Gertrud Bolay von den Häftlingen, die ihren Hausberg zum bekannten Demokratenbuckel machten. Der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart wurde dort oben gefangen gehalten, weil Herzog Carl Eugen seine antiaristokratischen Satiren missfielen. Friedrich List wurde als Vorkämpfer des Vormärz festgesetzt, Gottlieb Rau als gescheiterter 1848er-Revolutionär. Die Nazis inhaftierten 1933 den württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz auf dem Berg, der ihnen zugleich als Sammellager für Sinti, Roma und Juden diente. Von dort wurden sie nach Auschwitz deportiert. Man kann sagen, der Hohenasperg ist ein sehr deutscher Ort.

Der 92-jährige Mann, der gestern den Hohenasperg verlassen hat, musste 100 000 Euro hinterlegen. Gegen die Kaution hat der Haftrichter den mutmaßlichen einstigen KZ-Wachmann aus dem Gefängniskrankenhaus entlassen. Wie die beiden anderen Rentner in den Tagen zuvor. Verdächtig sind die Männer noch immer. Sie mussten ihren Pass abgeben und haben sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Das gibt wieder Schlagzeilen.