Jutta Eichenauer aus Backnang hat schon so manchem Neubürger aus dem Landkreis auf die Welt geholfen. Seit 2012 ist sie Vorsitzende des Landeshebammenverbands – und sagt, einiges muss sich ändern.

Rems-Murr-Kreis - Schlechte Bezahlung und aufreibende Arbeitsbedingungen sind typisch für den Beruf der Hebamme. Die Backnangerin Jutta Eichenauer führt deren Landesverband und erklärt im Interview, wo es hakt und wie man die Lage für Hebammen und Eltern verbessern könnte.

 
Frau Eichenauer, wann sind Sie Hebamme geworden und warum?
Ich habe 1983 mein Examen abgelegt. Es war mir wichtig, Frauen beim Gebären zu unterstützen und Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Die Weisungsungebundenheit und Autonomie einer Hebamme waren mit ausschlaggebend, die Verantwortlichkeit für das eigene Tun.
Der Kreishebammenverband des Landesverbands hat eine Ausstellung in Waiblingen organisiert, um die schönen Seiten des Berufs zu zeigen. Sind diese weniger geworden?
Nein, auf keinen Fall! Das Schöne ist nach wie vor da, wir haben nur so viele berufliche Baustellen, dass es in den Hintergrund verdrängt ist.
Welche Baustellen sind das?
Unzufrieden sind die Hebammen an erster Stelle wegen der Arbeitsbedingungen und an zweiter Stelle wegen der schlechten Bezahlung, angesichts der großen Verantwortung in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett „nichts“ zu übersehen. Die Verantwortung hat da die Hebamme neben dem Arzt.
Was hat sich in den Jahren verändert?
Das Berufsbild hat sich wie jedes andere mit den Bedürfnissen des Klientels und den Anforderungen von außen verändert. Der Bedarf der Eltern ist gestiegen. Mutter und Kind werden heute sehr früh aus der Klinik entlassen, am zweiten oder dritten Tag. Das ist eine Folge des Pauschalierungssystems in den Krankenhäusern. Diese können nur verdienen, wenn die Leute kürzer beziehungsweise nicht länger als in der Pauschale vorgesehen da bleiben. Noch Anfang der 1980er-Jahre, als ich meine Ausbildung abgeschlossen habe, blieb eine Frau nach der Geburt zehn Tage im Krankenhaus. Auch gibt es keine Großfamilie mehr, die die neue Situation mitträgt. Die Frauen sind heute in höchstem Grade verunsichert, wozu auch viele Informationen aus dem Internet beitragen. Wir Hebammen müssen daher mehr präsent sein – auch in der Schwangeren-Vorsorge.
Womit haben freiberufliche Hebammen am meisten zu kämpfen?
Wir würden gerne alle Anfragen, die an uns gerichtet werden, annehmen können, doch das ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Das macht uns sehr, sehr zu schaffen. Außerdem kämpfen wir seit Jahren dafür, endlich entsprechend unseres Könnens und der hohen Verantwortung, die wir als Hebamme übernehmen, bezahlt zu werden. Hier bewegt sich einfach nichts.
Welche Auswirkungen hat das?
Für einen Hausbesuch erhält eine freiberufliche Hebamme derzeit knapp 40 Euro von der Krankenkasse. Damit die Frauen sich ihren Traumberuf leisten können, schrauben viele ihre Tätigkeit auf einen 450-Euro-Minijob zurück. Denn wenn sie über diese Grenze kommen, geht rund die Hälfte des Verdienstes für Betriebsausgaben drauf, hinzu kommt die Steuer. Da bleibt am Ende ein Stundenlohn von mageren zehn Euro.
Was sind typische Probleme im Alltag von Klinikhebammen?
Dass sie sich drei- oder gar vierteilen müssen, um alle Frauen zu versorgen. Viele Klinikhebammen sind ausgebrannt wegen der wahnsinnigen Arbeitsüberlastung. Die Berechnung der Stellen beruht auf Zahlen, die viel zu alt sind. Zu der Situation trägt auch ein hohes Maß an hebammenfremden Tätigkeiten bei. So müssen die Hebammen beispielsweise alle Geburten in den PC eingeben und dokumentieren – heute wesentlich ausführlicher als vor 25 Jahren – , sie müssen Bestellungen schreiben und es gibt Krankenhäuser, in denen sie auch putzen müssen. Hinzu kommt, dass freitags ab 12 Uhr kein Arzt mehr arbeitet und es keine Notdienste mehr gibt. Das führt zu einer immensen Überbelastung an den Wochenenden. Denn nach wie vor werden 98 Prozent aller Kinder in Deutschland im Krankenhaus geboren, der Rest kommt im Geburtshaus oder zu Hause zur Welt.
Hebamme ist ein schöner Beruf mit schwerem Alltag. Wie viele Frauen entscheiden sich trotzdem noch für diese Profession?
Die Zahl der Hebammen im Land zu benennen ist schwierig, da wir keine Meldepflicht haben und auch keine Mitgliedspflicht. Wir können nur über die Kolleginnen Auskunft geben, die im Verband organisiert sind. Das sind in Baden-Württemberg knapp 3000, einschließlich der Kolleginnen in Ausbildung und jenen, die derzeit nicht aktiv sind.
Sie sagen, es droht ein Hebammenmangel, gleichzeitig steigen die Geburtenzahlen. Können Mütter und Kinder da noch angemessen betreut werden?
Der Mangel droht nicht nur, er ist bereits vorhanden und Frauen können davon berichten, wie schwierig es ist, eine Hebamme zu finden und fühlen sich alleine gelassen. Jede vierte Kreißsaalstelle in Deutschland ist nicht besetzt. Noch vor fünf Jahren gab es neben schlecht versorgten auch gut aufgestellte Regionen. Inzwischen ist das nicht mehr so. Wer beispielsweise in der Ferienzeit seinen Entbindungstermin hat, der hat ganz schlechte Karten.
Gibt es Initiativen, um die Situation der Hebammen zu verbessern?
Wir haben in Baden-Württemberg unter Federführung des Sozialministeriums einen Runden Tisch Geburtshilfe gegründet, bei dem unter anderem Kinder- und Frauenärzte und Hebammen ein Konzept und ein Netzwerk entwickeln. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, geht aber langsam voran. Ich hoffe, dass wir bei unserem Treffen im Juli Untergruppen bilden und erarbeiten, was es in den Kliniken und draußen braucht, damit Eltern eine zufriedenstellende Betreuung bekommen. Weil wir nicht ins Blaue planen können, müssen wir erst Zahlen erheben. Es wird also Umfragen geben zum Ist-Zustand und dann müssen wir überlegen, wo wir hin wollen. Die Kinderärzte unterstützen uns da sehr.
Welche Schritte fordern Sie?
Nötig ist eine bessere Bezahlung und in den Krankenhäusern muss man vom Pauschalierungssystem weg, das indirekt Kaiserschnitte fördert. Man kann eine Geburt nicht pauschalieren oder vorher kalkulieren. Die eine geht schnell über die Bühne, die andere dauert viele Stunden. Wenn ich als Hebamme eine Schwangere nicht 1:1 betreuen kann, ist das Risiko für Interventionen größer, weil ich nicht früh reagieren kann.
Was können Hebammen selbst tun?
Hebammen müssen lernen, loszulassen und nicht die Welt retten zu wollen, auch wenn bei ihnen der Beruf Berufung ist. Eine Möglichkeit der Entlastung wäre meiner Einschätzung nach mehr Teamarbeit. Viele Hebammen sind oft Einzelkämpferinnen, aber eine Zusammenarbeit mit anderen Hebammen könnte die Belastung, etwa an Wochenenden, verringern.