Seit 23 Jahren leitet Hubert Fluhr die Justizvollzugsanstalt mit ihren 500 Häftlingen. Dabei kämpft er stets darum, dass die Insassen nicht mehr rückfällig werden und ein anderes Leben führen. Ein Besuch bei dem engagierten Gefängnischef.

Heimsheim - Das Gefühl ist ein wenig beklemmend. Der Besucher betritt das Gefängnis durch drei gesicherte Türen. Einfach drücken und durchgehen ist nicht. Ausweis und Handy müssen abgegeben werden – die Karte zurück in die Freiheit ist aus Edelmetall und wiegt schwer in der Jackentasche. „Passen Sie gut darauf aus, sonst läuft jemand mit ihrem Pass hier raus“, scherzt der Pförtner.

 

Es ist kein düsterer, dunkler Ort voller finsterer Gestalten. Wenn man durch den Innenhof des 1990 erbauten Gebäudetraktes läuft, könnte man sich vorkommen wie in einem Berufsschulzentrum – wären da nicht die hohen Mauern voller Stacheldraht. Und die Fakten über die Menschen, die hier zwangsweise wohnen. Über 20 Mörder sitzen hier ein. Viele sind wegen Drogenhandeln, Sexualstraftaten, Betrügereien hier eingewiesen. Auch bekannte Steuerhinterzieher à la Uli Hoeneß, etwa aus Pforzheim waren hier, und der zu Unrecht verurteilte Harry Wörz. Fast ausschließlich aber sind es Menschen, die anderen schlimmes Unrecht angetan haben. Vielleich sogar ihnen das Leben genommen haben, oder sie schwer verletzt, in tiefe Trauer und in Leid gestürzt haben. Das darf man nicht vergessen, unschuldig sind hier die wenigsten.

Aber es sind eben oft auch Geschichten, die das Leben schreibt, oft nicht die leuchtenden, gerade, sondern die krummen, verkorksten. Einige Schleusen und verriegelte Türen weiter, vorbei an einer historischen Holztür von 1838, die vom ehemaligen Ludwigsburger Zuchthaus importiert wurde, die Treppe herauf in den Verwaltungstrakt – hier begegnet uns Hubert Fluhr, der Chef des Gefängnisses, der Herr über 300 Angestellte, der oberste Aufseher.

Seit 13 Jahren leitet Hubert Fluhr die JVA Heimsheim

Anstaltsleiter nennt er sich. Doch dieser Titel könnte kaum irreführender sein. Freundlich lächelt er den Besucher an, öffnet mit großzügigen Gesten die Tür zu seinem Büro. Ein aus Metallteilen geschweißtes Motorrad steht in der Ecke. „Das haben Häftlinge in der Werkstatt einmal unrechtmäßig gebastelt“, erzählt der 62-Jährige. Natürlich wurden sie bestraft, aber nicht zu streng, und es wurden weitere kreative Kunstwerke gebastelt. Etwa eine Metallok, die nun auf dem Fenstersims steht.

Dieses kleine Beispiel zeigt, wie differenziert der Alltag in der kleinen Stadt auf dem Hügel an der Autobahnausfahrt ist. „Natürlich ist man hier eingesperrt“, stellt Hubert Fluhr klar. Das relativiert die schöne Sporthalle, die große Werkstatt, den hellen Begegnungsraum, der wie eine lichtdurchflutete Uni-Mensa mit großen Fenstern wirkt. Das Gesetz garantiert nur eine Stunde Besuchszeit – im Monat. „Wir versuchen, fünf zu bieten“, sagt Fluhr. Bei vielen sei es sinnvoll, die Gefangenen vom unguten Umfeld zu isolieren.

Manche haben aber auch Familie und Kinder. Diese haben die Chance, in einem Vater-Kind-Projekt sich öfter zu sehen. Und vielleicht, wenn der Anstaltsleiter das Geld beisammen hat und die aufwendige Reparatur einer Wasserleitung abgeschlossen ist, bald einen neuen Gebäudetrakt, ein Art Appartment, in dem sich eine Familie den ganzen Tag begegnen kann.

Aber, mag man landläufig einwenden, ist das nicht zu viel Luxus? Sollen die Knackis nicht bei Wasser und Brot eingekerkert werden, um über ihre Verbrechen nachzudenken? Hubert Fluhr nickt verständnisvoll. Solche Äußerungen kennt er zur Genüge. „Mein Ziel ist es, dass möglichst wenige rückfällig werden“, sagt er. Wenn man jemanden nur einsperre, ändere er sich nicht. Und werde mit hoher Wahrscheinlichkeit draußen wieder den gleichen Unsinn machen wie zuvor.

Deswegen tut Hubert Fluhr einiges, um die Gefangenen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Der 62-Jährige stammt aus Schwäbisch Hall, hat in Heidelberg Jura studiert, war im Justizvollzug dort und in Bruchsal tätig, und bei der Ellwanger Staatsanwaltschaft. Doch dann kam 1991 der Traumjob in Heimsheim. „Mich reizt die Vielfalt der Aufgabe“, sagt er noch heute. Die damals nagelneue Anstalt hat er übernommen. Seither hat sie sich nicht nur baulich verändert, neue Zellentrakte kamen hinzu. Fluhr hat stets versucht, das Gefängnis in die Stadt Heimsheim zu integrieren. Die Bevölkerung einzubinden.

Der JVA-Chef erzählt dazu eine Geschichte. Als vor vielen Jahren Besuchergruppen durchgeführt wurden, haben sie die schöne Turnhalle gesehen – die wie eine ordentliche Mehrzweckhalle in einem Schulzentrum aussieht. Natürlich kamen Fragen auf: „Warum haben die hier so was Tolles?“ Die Antwort des Gefängnisleiters: er ließ die Sportvereine hier trainieren. So entstanden Projekte mit Gefangenen. Durch viel ehrenamtliches Engagement. Kooperationen mit der Musikkapelle.

Aber auch mit Firmen – in der Schreinerwerkstatt stehen Stellwände, oder auch Teile für Zuliefererfirmen der Automobilindustrie. Man kann eine Ausbildung beginnen, es gibt EDV-Kurse, sogar eine „Volkshochschule“mit Kursen. „Die Statistik sagt, dass 30 Projekt rückfällig werden“, erzählt Hubert Fluhr. Manche seien uneinsichtig und nicht erreichbar -aber wer sich einbinden lasse, habe eine gute Prognose.

Der Tag der Gefangenen ist komplett durchgetaktet

Aber wie leben die Gefangenen hier? Morgens um 6 Uhr wird aufgestalten, dann wird gearbeitet, 45 Minuten Mittagspause, ab 15 Uhr gibt es Hofgang. Der Hof ist begrünt, es sieht wieder ein wenig aus wie im Berufsschulzentrum. Hubert Fluhr zeigt ein wenig stolz auf künstlerisch zusammengeschraubte, rostige Stühle im Innenhof. „Das war ein Projekt von Gefangenen mit dem Künstler Gero Freymark“, erzählt er. Ein Beispiel von vielen, wie durch Engagement über den Standard hinaus etwas bewegt werden kann, zum Guten.

Wir stehen im Zellentrakt, vorbei an der Tischtennisplatte. Nummern und ein Namensschild zeigen an, wer hier wohnt. Hubert Fluhr klopft an der Tür. „Dürfen wir rein?“, fragt er höflich, respektvoll. Der Insasse zieht sich schnell was über. „Aber klar“, sagt er freundlich. Die neun Quadratmeter Einzelzelle haben wenig von Luxus, Eine eigene Nasszelle, ein kleiner Fernseher, auf eigene Kosten angeschafft. Ganz viele Bilder der Familie an der Wand. Keine Wasser-und-Brot-Zelle, aber das Gefühl des Einsperrtseins, der Verlust an persönlicher Autonomie, an der Chance, einfach woanders hinzu fahren, zu reisen, mit Freunden sich zu treffen, das hinterlässt ein Gefühl der Beklemmung.

Hubert Fluhrs Gesicht lächelt. Ein wenig stolz ist er schon auf das Erreichte. Das darf er auch sein. In Heimsheim ist er ein bekannter Mann, der in der Öffentlichkeit steht, und somit eine Brücke zwischen den Welten. Hat er jemals Angst gehabt? War er einmal in Gefahr? Gibt es nicht mafiöse Strukturen, Schutzgelderpressungen, wollen Gefangenen nicht revoltieren, wie in Kinofilmen? „All das gibt es, aber nicht so dramatisch wie im Fernsehen“, wiegelt Fluhr ab. So wie im echten Leben auch gibt es Streit, Konflikte. Aber die würden gelöst, Streithähne getrennt, Psychologen vermitteln. Damit an Ende die Haftzeit mehr war als stupides Absitzen, sondern ein Lernprozess, ein Weg zur Besserung.

Die Zeit ist schnell vergangen. „Kommen Sie jederzeit auf uns zu“, sagt Hubert Fluhr. Offenheit im Gefängnis, diese Paradoxie hat der 62-Jährige verinnerlicht, und lebt es selbst vor. An der Pforte bekommen wir unseren Pass und das Handy zurück. Das ist mehr Freiheit, als die 500 Bewohner hier haben. Die Stacheldrahtmauern verschwinden. Freiheit – das Wort können wir plötzlich ganz anders verstehen. Gut, dass es Brückenbauer gibt wie Hubert Fluhr, jenseits aller Klischees.