Die Justizvollzugsanstalt in Stuttgart wird erweitert. Künftig sollen psychisch Kranke in Stammheim therapiert werden.

Stuttgart - Wenn die Bagger in den grauen Beton beißen, dann verschwindet auch ein Stück deutsche Geschichte in den Schuttbergen. Im Sommer wird der alte Trakt der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Stammheim abgerissen, der als Symbol schlechthin für das Ende des Deutschen Herbstes gilt. In den 1970er Jahren waren im Bau eins die Anhänger der Roten Armee Fraktion RAF rund um die Baader-Meinhof-Gruppe untergebracht. Vier Terroristen begingen in der Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977 Selbstmord in ihren Zellen. Jetzt beginnt das letzte Kapitel, ab Februar wird der Abriss vorbereitet.

 

Heute warten in diesem Teil der JVA vor allem jugendliche Untersuchungshäftlinge auf ihren Prozess. Die grauen Fliesen, die abgewohnten, schlauchförmigen Zellen, der schon von den Eisentüren blätternde orangefarbene Lack – auch der bauliche Zustand ist historisch, viel getan hat sich nicht in den vergangenen 40 Jahren. Selbst wenn mehrere Häftlinge zusammenleben, gibt es in dem kleinen Raum keine abgetrennte Toilette, wie das laut Justizvollzugsgesetz mittlerweile die Vorschrift ist. Zudem sind die Zellen und Fenster kleiner, als man sie heute bauen würde.

Doch eine Sanierung des alten RAF-Traktes, der für 420 Personen ausgelegt ist, wäre zu teuer – und aus energetischer Sicht nicht sinnvoll, wie das Finanzministerium des Landes mitteilt. Die Anlage stammt noch aus den Anfängen der JVA, die zwischen 1959 und 1963 entstanden ist. Daher muss der Bau eins im Rahmen des landesweiten Haftplatzentwicklungsprogramms (siehe „Mehr Haftplätze“) weichen.

Ein neuer Trakt für 43,7 Millionen Euro

Stattdessen entsteht in Stammheim ein gänzlich neuer Trakt, der an einen erst 2005 fertiggestellten Neubau angegliedert wird. 43,7 Millionen Euro sollen verbaut sein, wenn im September 2015 die Schlüssel übergeben werden. Die weiteren Planungen sehen vor, auf dem Gelände des alten RAF-Baus ein Hospital zu errichten, um dort psychisch Kranke zu behandeln: eine Nachfolgeeinrichtung für das Justizvollzugskrankenhaus auf dem Hohenasperg ist im Gespräch, weil das Korsett der einstigen Festungsanlage bei Ludwigsburg altersschwach ist und häufig geflickt werden muss. Verhandlungen über die Ausgliederung von Abteilungen laufen aber noch.

In den modernsten Zellen in Stammheim sollen einmal 559 Häftlinge untergebracht werden – und damit der größte Teil der dann 780 Inhaftierten. Zurzeit fasst die JVA 626 Häftlinge, theoretisch. Praktisch ist die Haftanstalt dauernd überbelegt – und das, obwohl die Anzahl der Gefangenen seit Jahren rückläufig ist (siehe Grafik). So waren zum Beispiel im Jahr 2010 696 Menschen in Stammheim in Haft. Das funktioniert, indem schon mal zwei Gefangene auf einer zehn Quadratmeter großen Einzelzelle liegen; oder indem vier Personen sich die 21 Quadratmeter teilen, die eigentlich für drei vorgesehen sind.

Seit vielen Jahren steht das Thema Erweiterung auf dem Plan, es scheiterte bisher jedoch immer an der Finanzierung. Deswegen sagt die Anstaltsleiterin Regina Grimm: „Ich freue mich, wenn es endlich losgeht.“ Auch wenn die zweieinhalb Jahre dauernden Arbeiten eine Belastung für den Gefängnisalltag sind. 120 Gefangene mussten schon in andere Anstalten verlegt werden. Immerhin: die Gemeinschaftsräume für Sportangebote oder Gesprächskreise, oft die einzige Abwechslung für die Insassen, sind nicht betroffen.

Stammheim steht vor dem nächsten Großprojekt

Dafür steht den Stammheimern nur wenige Monate, nachdem die Bauarbeiten an der Stadtbahnlinie U 15 abgeschlossen wurden, das nächste Großprojekt vor der Tür. „Die An- und Abfahrt durch den Ort ist problematisch und wird von der Bevölkerung abgelehnt“, sagt die Bezirksvorsteherin Susanne Korge, wenn man sie auf die Baustellenzufahrt anspricht. Die von Geschäften und Gastronomie gesäumte Freihofstraße, die sich längs durch Stammheim zieht, ist erst seit Kurzem wieder voll für den Verkehr passierbar; jahrelang haben sich die Einzelhändler wegen des ausbleibenden Umsatzes durch die Dauerbaustelle der U 15 beschwert. Zwar sei noch unklar, wie viele Laster und Bagger verkehren würden, aber: „Eine Direktanbindung der JVA an die B 27, finanziert von Stadt und Land, wurde schon 2008 vom Bezirksbeirat beantragt“, sagt Korge. In dieser Sache hat sich der Bezirksbeirat jetzt nochmals an das Büro des Oberbürgermeisters gewandt .

Mit weiterem Widerstand vonseiten der Stammheimer ist im Rahmen der Erweiterung indes kaum zu rechnen. Stünden anderswo längst Bürgerinitiativen auf dem Plan, leben die Stammheimer äußerlich unaufgeregt mit dem Gefängnis. „Die JVA ist gewachsen in der Bevölkerung“, sagt Alexander Schmid, der Landesvorsitzende vom Bund der Strafvollzugsbediensteten. Wo sonst ist die Dichte mit Polizeibeamten so hoch wie im direkten Umfeld einer JVA? Schmid bemüht das subjektive Sicherheitsempfinden: „Rund um das Gefängnis passiert womöglich weniger als in der Stuttgarter Klett-Passage.“