Immer mehr Nachwuchswissenschaftler streiten sich mit ihren Hochschulen vor Gericht über Arbeitsverträge – da muss etwas faul sein im System. Die Bundesregierung will nun ein Gesetz ändern, die Pläne finden aber nicht nur Beifall.

Berlin - Eigentlich passen die Begriffe „Hochschule“ und „Prekariat“ nicht so recht zusammen. Doch tatsächlich hat sich an deutschen Hochschulen längst ein breites, frustriertes Fußvolk herausgebildet - junge oder auch schon nicht mehr so junge Forscher und Dozenten, die mit einer schier endlosen Kette knapp befristeter Zeitverträge mehr schlecht als recht über die Runden kommen. Für dieses zunehmend aufmüpfige „Hochschul-Prekariat““ reformiert die schwarz-rote Regierung nun ein heftig gescholtenes Gesetz.

 

Wer ist betroffen?

Nach Schätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die das Thema seit Jahren auf ihrer Protest-Agenda hat, müssen unterhalb der Professorenebene mehr als 80 Prozent der Wissenschaftler mit befristeten Verträgen auskommen. Insgesamt könnten es bis zu 200 000 Beschäftigte sein - 170 000 an Fachhochschulen und Unis sowie knapp 30 000 an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. „Und über die Hälfte der Zeitverträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr“, empört sich GEW-Experte Andreas Keller. Wer im Beruf Wissenschaft Wert auf Sicherheit legt, geht deswegen womöglich irgendwann ins Ausland - Deutschland droht viele kluge Köpfe zu verlieren.

Was wollen die Hochschulexperten der Koalition?

Eine Reform des 2007 eingeführten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hatten Schwarz und Rot in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Die SPD sah sich als treibende Kraft für den Uni-Nachwuchs und rangelte seit Anfang dieses Jahres relativ geräuschlos mit der Union. CDU und CSU griffen Mahnungen mächtiger Wissenschaftsorganisationen auf, die Flexibilität der Unis als Arbeitgeber nicht zu gefährden. Ende Juni fanden die Koalitionäre einen Kompromiss, den Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) umgehend in einen Gesetzentwurf goss. Diese Novelle hat das Bundeskabinett am Mittwoch abgesegnet.

Wie ging die Regierung bisher mit dem Thema um?

Wanka hatte schon im Frühjahr überraschend klare Worte gefunden: Die im Gesetz enthaltene Möglichkeit, jüngeren Wissenschaftlern stets nur befristete Verträge zu geben, werde teils „indiskutabel“ ausgenutzt. „Aus Sicht einiger Hochschulleitungen war das alte System mit den Kurzfristverträgen bequem - aber eben nicht für die Betroffenen“, kritisierte die Ministerin auch am Mittwoch wieder im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Nicht ohne Wirkung blieb auch, dass sich im Sommer Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dem Problem äußerte: Die Politik müsse „Sorge dafür tragen, dass wir junge Talente in der Forschung halten“.

Was wird sich mit der Reform nun konkret ändern?

Vertragslaufzeiten sollen bald davon abhängen, wie lang Promotionen oder Forschungsprojekte dauern. „Andauernde Halbjahresverträge ohne jeden Grund sind so nicht mehr möglich. Aber eine starre Untergrenze für Befristungen kann es eben auch nicht geben, sonst wäre die notwendige Flexibilität an den Hochschulen nicht mehr gegeben“, sagt Wanka. Mit dem neuen Gesetz werde zudem verhindert, dass Uni-Daueraufgaben durch befristet eingestelltes Personal erledigt werden, das keine wissenschaftliche Qualifizierung anstrebt.

Ab wann wirkt das neue Gesetz?

Die Ministerin und auch Koalitions-Fachpolitiker wie Hubertus Heil (SPD) gehen davon aus, dass das Gesetz bis Ende des Jahres nach den Abstimmungen im Bundestag in trockenen Tüchern ist. Die weiterhin kritische Bildungsgewerkschaft GEW sähe das Paket indes am liebsten noch einmal aufgeschnürt: Der Gesetzentwurf lasse „zu viele Schlupflöcher für eine Fortsetzung des Hire-and-Fire-Prinzips“.

War’s das dann mit schwarz-roten Wohltaten für das „Uni-Prekariat“?

Wohl nicht. Denn Wanka und ihre Kollegen in den Ländern wollen mehr: Zusätzliche feste Stellen im Rahmen eines großen Paktes für den Wissenschaftsnachwuchs. So soll versucht werden, jüngeren Forschern über eine sechsjährige Befristungsvorstufe (Tenure-Track) Wege zur Professur zu ebnen. CDU/CSU und SPD haben signalisiert, ab 2017 könnte bundesseitig für zehn Jahre insgesamt eine Milliarde Euro eingesetzt werden. „Wie hoch der Beitrag der Länder für diesen Pakt ist - das ist jetzt die spannende Frage“, sagt Wanka.

Was meint die Opposition im Bundestag?

Die senkt den Daumen. Eine „Minimal-Novelle“ ohne strukturellen Fortschritt und ein Bund-Länder-Programm, das auf sich warten lasse, kritisierte am Mittwoch der Grünen-Experte Kai Gehring. Seine Linke-Kollegin Rosemarie Hein schimpfte: „Statt verbindlicher gesetzlicher Regelungen (...) verwässerte Vorgaben.“